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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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es Frau Buchendorff gesagt.
    Für einen Moment sah ich Mischkey auf dem steinernen Seziertisch liegen. Als junger Staatsanwalt mußte ich oft bei Leichenöffnungen zugegen sein. Mir kam das Bild in den Kopf, wie sie ihm am Ende Holzwolle in die Bauchhöhle stopften und ihn mit großen Stichen zunähten.
    »Vorgestern war die Beerdigung.«
    Ich dachte nach. »Sagen Sie, Frau Buchendorff, gibt es außer dem Hergang Gründe, aus denen Sie an der Unfallversion zweifeln?«
    »In den letzten Wochen habe ich ihn oft nicht wiedererkannt. Er war mißmutig, abweisend, in sich gekehrt, saß viel zu Hause, hat kaum noch was mit mir unternehmen mögen. Hat mich einmal glatt rausgeschmissen. Und allen meinen Fragen ist er ausgewichen. Manchmal dachte ich, er hätte eine andere, aber dann hing er wieder mit einer Innigkeit an mir, die er früher nicht gezeigt hatte. Mich hat das ganz ratlos gemacht. Als ich einmal besonders eifersüchtig war, bin ich … Sie denken vielleicht, ich komme mit meinem Kummer nicht zurecht und bin hysterisch. Aber was an dem Nachmittag passiert ist …«
    Ich schenkte ihr Kaffee nach und sah sie auffordernd an.
    »Es war an einem Mittwoch, den wir uns beide freigenommen hatten, um einmal wieder mehr Zeit füreinander zu haben. Der Tag fing schon schlecht an; es war auch nicht so, daß wir mehr Zeit füreinander haben wollten, sondern ich wollte, daß er mehr Zeit für mich hat. Nach dem Mittagessen sagte er dann plötzlich, daß er jetzt für zwei Stunden wegmuß, ins Rechenzentrum. Ich merkte ganz genau, daß das nicht stimmte, und war enttäuscht und wütend und spürte seine Kälte und sah ihn bei der anderen und tat etwas, was ich eigentlich ganz mies finde.« Sie biß sich auf die Lippe. »Ich bin ihm hinterhergefahren. Er fuhr nicht ins Rechenzentrum, sondern in die Rohrbacher Straße und über den Steigerweg den Berg hoch. Es war leicht, ihm zu folgen. Er fuhr zum Ehrenfriedhof. Ich hab immer aufgepaßt, daß gehörig Abstand zwischen uns ist. Als ich am Ehrenfriedhof ankam, hatte er seinen Wagen schon abgestellt und betrat den breiten Mittelweg. Sie kennen doch den Ehrenfriedhof mit diesem Weg, der in den Himmel zu führen scheint? Am Ende steht ein fast mannsgroßer, kaum behauener sarkophagähnlicher Sandsteinblock. Auf den ging er zu. Ich verstand überhaupt nichts und hielt mich hinter den Bäumen verborgen. Als er den Sandsteinblock fast erreicht hatte, traten dahinter zwei Männer hervor, rasch und leise, wie aus dem Nichts. Peter sah von einem zum anderen; er schien sich einem zuwenden zu wollen, aber nicht zu wissen, welchem.
    Dann ging alles blitzschnell. Peter wandte sich nach rechts, der Mann zu seiner Linken machte zwei Schritte, packte ihn von hinten und hielt ihn fest. Der Kerl rechts boxte ihm in den Magen, noch mal und noch mal. Es war ganz unwirklich. Die Männer wirkten irgendwie unbeteiligt, und Peter machte keine Anstalten, sich zu wehren. Vielleicht war er genauso gelähmt wie ich. Es war auch ganz schnell vorbei. Als ich losrannte, nahm der Schläger Peter noch die Brille von der Nase, mit einer fast sorgsamen Bewegung, ließ sie fallen und zertrat sie. Ebenso lautlos und plötzlich, wie alles geschehen war, ließen sie von Peter ab und verschwanden wieder hinter dem Sandsteinblock. Ich hörte sie noch eine Weile durch den Wald davonlaufen.
    Als ich bei Peter ankam, war er zusammengesunken und lag gekrümmt auf der Seite. Ich habe dann – aber das ist jetzt ja egal. Er hat mir nie erzählt, warum er zum Ehrenfriedhof gefahren ist und zusammengeschlagen wurde. Er hat mich auch nie gefragt, warum ich ihm nachgefahren bin.«
    Wir schwiegen beide. Was sie erzählt hatte, klang nach der Arbeit von Profis, und ich verstand, warum sie an Peters Unfalltod zweifelte.
    »Nein, ich glaube nicht, daß Sie hysterisch sind. Gibt es noch etwas, das Ihnen merkwürdig vorgekommen ist?«
    »Kleinigkeiten, zum Beispiel, daß er wieder zu rauchen anfing. Und seine Blumen eingehen ließ. Er muß auch zu seinem Freund Pablo seltsam gewesen sein. Ich habe mich mal mit ihm getroffen in der Zeit, weil ich nicht weiterwußte, und er war auch besorgt. Ich bin froh, daß Sie mir glauben. Als ich der Polizei vom Ehrenfriedhof erzählen wollte, hat die das gar nicht interessiert.«
    »Und wollen Sie jetzt von mir, daß ich die Ermittlungen durchführe, die die Polizei vernachlässigt hat?«
    »Ja. Ich denke, daß Sie nicht billig sind. Ich kann Ihnen zehntausend Mark geben, und dafür hätte ich gerne

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