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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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Gewißheit über Peters Tod. Brauchen Sie einen Vorschuß?«
    »Nein, Frau Buchendorff. Ich brauche keinen Vorschuß, und ich sage Ihnen im Moment auch nicht zu, daß ich den Fall übernehme. Was ich machen kann, ist sozusagen eine Voruntersuchung: Ich muß die naheliegenden Fragen stellen, Spuren überprüfen und kann erst dann entscheiden, ob ich wirklich in den Fall einsteige. Das wird nicht sehr teuer werden. Sind Sie damit einverstanden?«
    »Gut, machen wir es so, Herr Selb.«
    Ich notierte mir einige Namen, Adressen und Daten und versprach, sie auf dem laufenden zu halten. Ich brachte sie an die Tür. Draußen regnete es noch immer.

3
Ein silberner Christophorus
    Mein alter Freund bei der Heidelberger Polizei ist Hauptkommissar Nägelsbach. Er wartet auf seine Pensionierung; seit er mit fünfzehn als Bote auf der Staatsanwaltschaft Heidelberg angefangen hat, hat er zwar schon den Kölner Dom, den Eiffelturm, das Empire State Building, die Lomonossow-Universität und das Schloß Neuschwanstein aus Streichhölzern gebaut, aber den Nachbau des Vatikans, der sein eigentlicher Traum und ihm neben dem Polizeidienst nur zuviel ist, hat er auf den Ruhestand verschoben. Ich bin gespannt. Mit Interesse habe ich die künstlerische Entwicklung meines Freundes verfolgt. Bei seinen früheren Arbeiten sind die Streichhölzer alle etwas kürzer. Damals haben seine Frau und er die Schwefelköpfchen mit der Rasierklinge abgetrennt; er wußte noch nicht, daß die Zündholzfabriken auch kopflose Streichhölzer abgeben. Mit den längeren Streichhölzern haben die späteren Bauten etwas gotisch Ragendes bekommen. Weil seine Frau ihm mit den Streichhölzern nicht mehr helfen mußte, begann sie, ihm bei der Arbeit vorzulesen. Sie fing mit dem Ersten Buch Mose an und ist gerade bei der ›Fackel‹ von Karl Kraus. Hauptkommissar Nägelsbach ist ein gebildeter Mann.
    Ich hatte ihn am Morgen angerufen, und als ich um zehn Uhr bei ihm in der Polizeidirektion war, machte er mir eine Ablichtung des Polizeiberichts.
    »Seit es den Datenschutz gibt, weiß bei uns niemand mehr, was er noch darf. Ich habe beschlossen, auch nicht mehr zu wissen, was ich nicht darf«, sagte er und gab mir den Bericht. Es waren nur ein paar Seiten.
    »Wissen Sie, wer den Unfall aufgenommen hat?«
    »Das war Hesseier. Ich dachte mir schon, daß Sie den sprechen wollen. Sie haben Glück, er ist heute vormittag hier, und ich habe Sie ihm angekündigt.«
    Hesseier saß an seiner Schreibmaschine und tippte mühsam. Ich werde nie verstehen, warum man Polizisten nicht richtig Schreibmaschine schreiben beibringt. Es sei denn, die Verdächtigen und Zeugen sollen durch den Anblick des tippenden Polizisten gefoltert werden. Es ist eine Folter; der Polizist bearbeitet die Schreibmaschine hilflos und gewaltsam, sieht dabei unglücklich und verbissen aus, ist zugleich ohnmächtig und zum äußersten entschlossen – eine brisante und beängstigende Mischung. Und wenn man nicht zur Aussage bewogen wird, dann wird man jedenfalls davon abgehalten, die einmal gemachte, vom Polizisten in Form und Schrift gebrachte Aussage zu ändern, mag der Polizist sie noch so sehr verfremdet haben.
    »Angerufen hat uns jemand, der nach dem Unfall über die Brücke gefahren ist. Sein Name steht im Bericht. Als wir hinkamen, war der Arzt gerade eingetroffen und zum Unfallfahrzeug hinuntergeklettert. Er sah gleich, daß nichts mehr zu tun war. Wir haben die Straße gesperrt und die Spuren gesichert. Es gab nicht viel zu sichern. Da war die Bremsspur, die zeigt, daß der Fahrer zugleich gebremst und das Steuer nach links gerissen hat. Warum er das gemacht hat, dafür gab’s keine Anhaltspunkte. Nichts hat darauf hingedeutet, daß ein anderes Fahrzeug beteiligt war, keine Glassplitter, keine Lackspuren, keine weitere Bremsspur, nichts. Schon ein komischer Unfall, aber da hat halt der Fahrer die Herrschaft über sein Fahrzeug verloren.«
    »Wo steht das Fahrzeug?«
    »Beim Abschleppunternehmen Beisel, hinter dem Zweifarbenhaus. Der Sachverständige hat es untersucht, ich denke, der Beisel verschrottet es demnächst. Die Standgebühren sind schon jetzt höher als der Schrottwert.«
    Ich bedankte mich. Ich ging bei Nägelsbach vorbei, um mich zu verabschieden.
    »Kennen Sie ›Hedda Gabler‹?« fragte er mich.
    »Wieso?«
    »Die kam gestern abend bei Karl Kraus vor, und ich habe nicht verstanden, ob sie sich ertränkt oder erschossen hat oder keines von beidem, und ob sie es am Meer oder in einer

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