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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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Staatsanwalt und Verteidiger vom Adelsheimer Amtsgericht, die die Verhandlung in entspannter Atmosphäre ohne die lästige Anwesenheit der Angeklagten führten. Ich kannte das aus meiner Zeit bei der Justiz.
    In Mannheim kam ich in den Feierabendverkehr und brauchte für die fünfhundert Meter durch die Augusta-Anlage zwanzig Minuten. Ich schloß mein Büro auf. »Gerd«, rief es, und als ich mich umdrehte, sah ich Judith durch die stehenden Autos von der anderen Straßenseite kommen. »Können wir einen Moment reden?«
    Ich schloß die Tür wieder ab. »Laufen wir ein paar Schritte.«
    Wir liefen die Mollstraße hoch und die Richard-Wagner-Straße vor. Es dauerte eine Weile, bis sie etwas sagte. »Ich habe überreagiert am Samstag. Ich finde noch immer nicht gut, daß du mir nicht gleich am Mittwoch gesagt hast, was zwischen Peter und dir war. Aber irgendwie verstehe ich, wie’s dir ging, und daß ich dich so hingestellt habe, als wäre dir nicht zu trauen, tut mir leid. Ich kann ganz schön hysterisch werden, seit Peter tot ist.«
    Auch ich brauchte eine Weile. »Heute vormittag habe ich dir einen Schlußbericht geschrieben. Du wirst ihn mit der Rechnung heute oder morgen in der Post finden. Es war traurig. Ich hatte das Gefühl, mir etwas aus dem Herzen reißen zu müssen, dich, Peter Mischkey und eine Klarheit über mich selbst, die ich bei dem Fall zu gewinnen begann.«
    »Dann bist du damit einverstanden weiterzumachen? Sag mir schon mal, was in deinem Bericht steht.«
    Wir waren vor der Kunsthalle angelangt; ein paar Tropfen fielen. Wir gingen rein, und ich erzählte ihr, während wir durch die Säle mit den Bildern aus dem 19. Jahrhundert schlenderten, was ich herausgefunden hatte, vermutete und mich fragte. Vor Feuerbachs Bild der Iphigenie auf Aulis blieb sie stehen. »Das ist ein schönes Bild. Kennst du die Geschichte dazu?«
    »Ich glaube, Agamemnon, ihr Vater, hat sie gerade als Opfer für die Göttin Artemis ausgesetzt, damit wieder Wind aufkommt und die griechische Flotte nach Troja auslaufen kann. Ich mag das Bild.«
    »Ich wüßte gerne, wer die Frau war.«
    »Du meinst das Modell? Feuerbach hat sie sehr geliebt, Nanna, eine römische Schustersfrau. Das Rauchen hat er ihretwegen aufgegeben. Dann lief sie ihm und ihrem Mann mit einem Engländer davon.«
    Wir gingen zum Ausgang und sahen, daß es noch regnete. »Was willst du als nächstes machen?« fragte Judith.
    »Morgen will ich mit Gremlich reden, Peter Mischkeys Kollegen im Regionalen Rechenzentrum, und auch noch mal mit ein paar Leuten aus den RCW .«
    »Gibt es irgendwas, was ich tun kann?«
    »Wenn mir etwas in den Sinn kommt, sag ich’s dir. Weiß Firner eigentlich über dich und Peter Mischkey Bescheid und darüber, daß du mich beauftragt hast?«
    »Gesagt habe ich ihm nichts. Aber warum hat er mir eigentlich nichts von Peters Verwicklung in unsere Computergeschichte erzählt? Zunächst hatte er mich immer auf dem laufenden gehalten.«
    »Hast du denn gar nicht mitbekommen, daß ich den Fall abgeschlossen hatte?«
    »Doch, ein Bericht von dir ging über meinen Schreibtisch. Es war alles sehr technisch.«
    »Du hast nur den ersten Teil bekommen. Warum, das würde ich gerne wissen. Meinst du, du kriegst das raus?«
    Sie wollte es versuchen. Es hatte zu regnen aufgehört, wurde dunkel, und die ersten Lichter gingen an. Der Regen hatte den Gestank der RCW mitgebracht. Auf dem Weg zum Auto redeten wir nicht. Judith hatte einen müden Gang. Beim Abschied sah ich auch die tiefe Müdigkeit in ihren Augen.
    Sie spürte meinen Blick. »Ich seh nicht gut aus zur Zeit, gell?«
    »Nein, du solltest wegfahren.«
    »In den letzten Jahren habe ich immer mit Peter Ferien gemacht. Wir haben uns im Club Méditerranée kennengelernt, weißt du. Jetzt sollten wir in Sizilien sein, wir sind im Spätherbst immer in den Süden gefahren.« Sie fing an zu weinen.
    Ich legte ihr den Arm um die Schulter. Zu sagen wußte ich nichts. Sie weinte sich aus.

15
Der Pförtner kannte mich noch
    Gremlich war kaum wiederzuerkennen. Den Safarianzug hatte er gegen Wollflanellhose und Lederjackett eingetauscht, die Haare waren kurz geschnitten, über der Lippe prangte ein sorgfältig gestutztes Menjoubärtchen, und mit dem neuen Look trug er ein neues Selbstbewußtsein zur Schau.
    »Guten Tag, Herr Selb. Oder soll ich Selk sagen? Was führt Sie zu uns?«
    Was sollte ich davon halten? Mischkey würde ihm nicht von mir erzählt haben. Wer sonst? Jemand von den RCW . Ein Zufall?

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