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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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gepokert haben, um Danckelmann und Thomas so zu beeindrucken, wie ihm das anscheinend gelungen war. Aber was wollte er damit erreichen oder verhindern? Die RCW hatten ihm nicht auf die Nase gebunden, daß sie nicht mit Polizei, Gericht und Gefängnis gegen ihn vorgehen wollten. Warum hatten sie Druck machen wollen? Was hatten sie mit Mischkey vor, und wogegen hatte er sich mit seinen schwachbrüstigen Andeutungen und Drohungen gewehrt?
    Ich dachte an Gremlich. Er war zu Geld gekommen, hatte heute morgen seltsame Reaktionen gezeigt, und ich war ziemlich sicher, daß er Danckelmann verständigt hatte. War Gremlich der Mann der RCW im RRZ ? Hatten die RCW diese Rolle zunächst Mischkey zugedacht? Wir gehen nicht zur Polizei, und Sie sorgen dafür, daß unsere Emissionsdaten immer sauber bleiben? Einen solchen Mann zu haben, war viel wert. Das Überwachungssystem würde bedeutungslos werden und die Produktion nicht mehr beeinträchtigen können.
    Aber ein Mord an Mischkey wurde durch all das nicht plausibel. Gremlich als Mörder, der das Geschäft mit den RCW machen wollte und dabei Mischkey nicht brauchen konnte? Oder hatte Mischkeys Material doch eine Brisanz, die mir bisher entgangen war und die eine tödliche Reaktion der RCW provoziert hatte? Aber dann hätten Danckelmann und Thomas, an denen vorbei eine solche Aktion schwerlich hätte laufen können, nicht so offen über den Konflikt mit Mischkey gesprochen. Und Gremlich machte zwar mit der Lederjacke einen besseren Eindruck als im Safarianzug, aber nicht einmal mit Borsalino konnte ich mir ihn als Mörder vorstellen. Suchte ich überhaupt in ganz falscher Richtung? Fred konnte Mischkey für die RCW zusammengeschlagen haben, aber auch für einen beliebigen anderen Auftraggeber, und für den konnte er ihn auch umgebracht haben. Was wußte ich, worin sich Mischkey in seiner hochstaplerischen Art verstrickt hatte. Ich mußte noch mal mit Fred reden.
    Ich verabschiedete mich von Aristoteles. Wieder wirkten die Höfe des alten Werks ihren Zauber. Ich ging durch den Bogen in den nächsten Hof, dessen Wände im herbstlichen Rot des russischen Weins glühten. Kein Richard, der mit dem Ball spielte. Ich klingelte an der Schmalzschen Dienstwohnung. Die ältere Frau, die ich vom Sehen schon kannte, öffnete die Tür. Sie trug Schwarz.
    »Frau Schmalz? Guten Tag, mein Name ist Selb.«
    »Grüß Gott, Herr Selb. Sie fahren von hier aus mit uns zur Beerdigung? Die Kinder holen mich gleich ab.«
    Eine halbe Stunde später fand ich mich im Krematorium auf dem Ludwigshafener Hauptfriedhof. Die Familie Schmalz hatte mich wie selbstverständlich in die Trauer um Schmalz senior einbezogen, und ich mochte nicht sagen, daß ich nur zufällig in die Bestattungsvorbereitungen geplatzt war. Mit Frau Schmalz, dem jungen Ehepaar Schmalz und Sohn Richard war ich zum Friedhof gefahren, froh über den dunkelblauen Regenmantel und den gedeckten Anzug, die ich heute anhatte. Auf der Fahrt erfuhr ich, daß Schmalz senior einem Herzinfarkt erlegen war.
    »Er sah so rüstig aus, als ich ihn vor ein paar Wochen gesehen habe.«
    Die Witwe schluchzte. Mein lispelnder Freund erzählte von den Umständen, die zum Tod geführt hatten. »Papa werkelte noch viel, nachdem er in Rente gegangen war. Er hatte einen Werkraum im alten Hangar am Rhein. Da hat er neulich nicht Obacht gegeben. Die Wunde an der Hand war nicht tief, aber der Doktor meinte, da war noch eine Blutung im Gehirn. Papa hatte danach immer ein Kribbeln in der linken Körperhälfte, ihm war arg unwohl, und er blieb im Bett. Vor vier Tagen dann der Infarkt.«
    Auf dem Friedhof waren die RCW stark vertreten. Danckelmann hielt eine Rede. »Sein Leben war der Werkschutz, und der Werkschutz war sein Leben.« Im Verlauf der Rede verlas er einen persönlichen Abschied von Korten. Der Vorsitzende des RCW -Schachklubs, in dessen zweiter Mannschaft Schmalz senior am dritten Brett gespielt hatte, erbat Caissas Segen für den Verstorbenen. Das RCW -Orchester spielte ›Ich hatt einen Kameraden‹. Schmalz vergaß sich und lispelte mir gerührt zu: »Papas Herzenswunsch.« Dann glitt der blumenbedeckte Sarg in den Verbrennungsofen.
    Dem Leichenkaffee und -kuchen konnte ich mich nicht entziehen. Ich konnte aber vermeiden, neben Danckelmann oder Thomas zu sitzen, obwohl Schmalz junior mir diesen Ehrenplatz zugedacht hatte. Ich nahm neben dem Vorsitzenden des RCW -Schachklubs Platz, und wir unterhielten uns über die Weltmeisterschaft zwischen Karpow und

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