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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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Mischkeys amüsantes Gedankenspiel ließ den Kreis der Verdächtigen explosi-onsartig anwachsen. »Eine interessante Variante. Herr Mischkey, Sie haben mir sehr geholfen. Falls mir noch was einfällt, darf ich Sie anrufen? Hier ist meine Karte.«
    Ich fingerte aus meiner Brieftasche die Visitenkarte mit meiner privaten Anschrift und Telefonnummer, auf der ich als freier Journalist Gerhard Selk firmiere.
    Den Weg zum Ebertplatz hatten wir gemeinsam.
    »Was sagt Ihr Meteorogramm über das kommende
    Wochenende?«
    »Gut wird’s, kein Smog und nicht einmal Regen. Es sieht nach einem Wochenende im Schwimmbad aus.«
    Wir verabschiedeten uns. Ich fuhr über den Römer-kreisel in die Bergheimerstraße, um dort zu tanken. Ich konnte das Benzin nicht durch die Leitung laufen hö-
    ren, ohne an die Leitungen zwischen rcw und rrz und jetzt noch wer weiß was für Unternehmen zu denken.
    Wenn mein Fall ein Fall von Industriespionage war, dachte ich auf der Autobahn, dann fehlte da noch was.
    Die Vorkommnisse im rcw-System, an die ich mich erinnerte, paßten nicht zu einem Spionagefall. Es sei denn
    – hatte der Spion mit ihnen seine Fährte verwischen 92
    wollen? Aber hatte er dazu nicht nur dann Anlaß, wenn er befürchten mußte, man sei ihm auf die Fährte gekommen? Und warum sollte er das befürchten müssen?
    War eines der ersten Vorkommnisse vielleicht geeignet, ihn zu entlarven? Ich mußte mir die Berichte nochmals ansehen. Und ich mußte bei Firner anrufen und mir ei-ne Liste der an das Smogalarmsystem angeschlossenen Betriebe besorgen lassen.
    Ich erreichte Mannheim. Es war drei Uhr, die Jalousien der Mannheimer Versicherung hatten schon ihre Feierabendstellung eingenommen. Nur die Fenster, die das nachts beleuchtete M ergaben, waren noch im Dienst. M wie Mischkey, dachte ich.
    Der Mann gefiel mir. Er gefiel mir auch als Verdächtiger. Da war der Spieler, der Tüftler und der Schalk, nach dem ich von Anfang an gesucht hatte. Er hatte die nötige Phantasie, die nötige Kompetenz und saß an der richtigen Stelle. Aber mehr als ein Gefühl war das nicht.
    Und wenn ich ihn damit stellen wollte, würde er mich souverän abblitzen lassen.
    Ich würde ihn am Wochenende beschatten. Mehr als das Gefühl für die Person hatte ich noch nicht, und ich sah nicht, wie ich seine Spur anders verfolgen sollte.
    Vielleicht würde er auch eine Bewegung machen, die mich auf neue Ideen brächte. Wenn es Winter gewesen wäre, hätte ich mich in der Buchhandlung für das Wochenende mit Literatur über Computerkriminalität ein-gedeckt. Beschatten ist im Winter ein kaltes und hartes Geschäft. Aber im Sommer geht’s, und Mischkey wollte ins Schwimmbad.
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    Schämen Sie sich!
    Daß Mischkey derzeit in Heidelberg am Burgweg 9
    wohnte, einen Citroën ds Kabriolett mit dem Kennzeichen hd-cz 985 fuhr, unverheiratet und kinderlos war, als Regierungsrat rund 55 000 Mark verdiente und bei der Bank für Gemeinwirtschaft einen persönlichen Kredit über 30 000 Mark hatte, den er ordentlich ab-zahlte, sagte mir noch am Freitag mein Kollege Hemmelskopf vom Kreditinformationsdienst. Am Samstag war ich um sieben am Burgweg.
    Der Burgweg ist ein kleines, für den Verkehr gesperrtes Stück Straße und führt in seinem oberen Teil als Fußweg zum Schloß. Die Bewohner der etwa fünf
    Häuser im unteren Teil dürfen ihre Autos dort parken und haben einen Schlüssel zur Schranke, die den Burgweg vom Unteren-Faulen-Pelz abtrennt. Ich war froh, Mischkeys Auto dort stehen zu sehen. Es war eine Schönheit, flaschengrün mit blitzendem Chrom und cremefarbenem Verdeck. Dahin also war der persönliche Kredit geflossen. Mein eigenes Auto parkte ich in der Haarnadelkurve der Neuen Schloßstraße, von der eine steile gerade Treppe zum Burgweg hinunterführt.
    Mischkeys Auto stand mit der Schnauze bergaufwärts; 94
    wenn er losfahren würde, müßte ich genügend Zeit haben, gleichzeitig mit ihm im Unteren Faulen Pelz zu sein. Ich stellte mich so hin, daß ich den Eingang sehen konnte, ohne vom Haus aus gesehen zu werden.
    Um halb neun ging in dem Haus, das ich für das Ne-benhaus gehalten hatte, in meiner Augenhöhe ein Fenster auf, und Mischkey streckte sich nackt in der schon milden Morgenluft. Ich konnte gerade noch hinter die Litfaßsäule wischen. Ich lugte hervor, er gähnte, machte Rumpfbeugen und hatte mich nicht bemerkt.
    Um neun Uhr verließ er das Haus, ging auf den
    Markt vor der Heiliggeistkirche, aß dort zwei Lachs-brötchen, trank im Drugstore in

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