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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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der Kettengasse einen Kaffee, flirtete mit der exotischen Schönen hinter der Bar, telefonierte, las die ›Frankfurter Rundschau‹, spielte ein Blitzschach, machte noch ein paar Besorgungen, ging nach Hause, um die Einkäufe abzustellen und mit einer großen Tasche wieder rauszukommen, und stieg ins Auto. Jetzt ging’s zum Baden, er trug ein Leibchen mit der Aufschrift ›Greatful Dead‹, abgeschnittene Jeans, Jesussandalen und hatte dünne bleiche Beine.
    Mischkey mußte sein Auto wenden, aber die Schranke unten war offen, und so hatte ich alle Mühe, rechtzeitig mit meinem Kadett hinter ihm zu sein, ein Auto zwischen uns. Ich konnte die Musik aus seiner voll auf-gedrehten Stereoanlage hören. ›He’s a pretender‹, sang Madonna.
    Es ging auf die Autobahn nach Mannheim. Dort fuhr er mit achtzig am adac-Pavillon und am Verwaltungs-gerichtshof vorbei und den Oberen Luisenpark entlang.
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    Plötzlich bremste er scharf und bog nach links ab. Als der Gegenverkehr auch mich abbiegen ließ, sah ich Mischkeys Auto nicht mehr. Langsam fuhr ich weiter und hielt nach dem grünen Kabriolett Ausschau. An der Ecke zur Rathenaustraße hörte ich laute Musik, die plötzlich erstarb. Ich tastete mich weiter. Mischkey stieg aus dem Auto und ging ins Eckhaus.
    Ich weiß nicht, was mir zuerst ein- oder auffiel, die Anschrift oder das Auto von Frau Buchendorff, das vor der Christuskirche silbrig glänzte. Ich drehte die rechte Scheibe runter und beugte mich rüber, um einen Blick auf das Haus zu werfen. Durch schmiedeeisernes Gitter und verwilderten Garten sah ich auf den Balkon im ersten Stock. Frau Buchendorff und Mischkey küßten sich.
    Daß ausgerechnet die beiden etwas miteinander hatten! Es paßte mir ganz und gar nicht. Jemand beschatten, der einen kennt, ist schon lausig, aber wenn man entdeckt wird, kann man eine zufällige Begegnung vortäuschen und sich damit leidlich aus der Affäre ziehen.
    Das geht natürlich grundsätzlich auch bei zweien, aber nicht hier. Würde Frau Buchendorff mich ihm als Privatdetektiv Selb oder Mischkey mich ihr als freien Journalisten Selk vorstellen? Wenn es zum Baden gehen würde, müßte ich draußen bleiben. Schade, ich hatte mich darauf gefreut und extra meine Bermudas einge-packt. Sie küßten sich innig. War da noch etwas, was mir nicht paßte?
    Ich setzte darauf, daß die beiden mit Mischkeys Auto fahren würden. Es stand schon mit offenem Verdeck da.
    Ich fuhr ein Stück weiter in der Rathenaustraße und 96
    parkte so ein, daß ich Gartentor und Citroën in meinen Rückspiegeln hatte.
    Nach einer halben Stunde fuhren sie an mir vorbei, und ich versteckte mich hinter der ›Süddeutschen‹.
    Dann folgte ich ihnen durch den Suezkanal zum Stol-lenwörth-Weiher.
    Er liegt im Süden der Stadt, und an ihm gibt es zwei Vereinsschwimmbäder. Frau Buchendorff und Mischkey gingen ins Postbad. Ich stand mit meinem Auto vor dem Eingang. Wie lange baden verliebte junge Leute heutzutage? Zu meiner Zeit am Müggelsee konnte das Stunden dauern, vermutlich hatte sich das nicht gravie-rend geändert. Ich hatte mit dem Baden zwar schon in der Rathenaustraße abgeschlossen gehabt, aber die Aussicht, drei Stunden im Wagen zu sitzen oder am Wagen zu lehnen, ließ mich nach einer anderen Lösung suchen.
    Ob man dieses Bad vom anderen einsehen könnte? Es war jedenfalls einen Versuch wert.
    Ich fuhr zum gegenüberliegenden Schwimmbad und packte in meine Badetasche das Zeiss-Fernglas. Ich habe es von meinem Vater geerbt, er war Berufsoffizier und hat damit den Ersten Weltkrieg verloren. Ich löste die Eintrittskarte, zog die Bermudas an und den Bauch ein und trat in die Sonne.
    Ich fand einen Platz, von dem aus ich das andere Bad einsehen konnte. Die Liegewiese war voll mit Familien, Gruppen, Paaren und Singles, und selbst unter den Muttis hatten einige den baren Busen gewagt.
    Als ich mein Fernglas aus der Tasche holte, trafen mich die ersten strafenden Blicke. Ich richtete es auf die 97
    Bäume, auf die paar Möwen, die es gab, und auf eine Plastikente auf dem See. Hätte ich nur meinen ornitho-logischen Atlas mitgenommen, dachte ich, damit könn-te ich jetzt vertrauensbildende Maßnahmen versuchen.
    Kurz bekam ich das andere Bad ins Gesichtsfeld; was die Entfernung anlangte, hätte ich die beiden mit meinem Fernglas gut beschatten können. Aber man ließ mich nicht.
    »Schämen Sie sich!« sagte ein Familienvater, dem der Bauch über die Badehose und die Brüste über den Bauch flossen. Er und seine

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