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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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nachmittag um fünf, nach der Arbeit. Dann steht es nicht länger zwischen uns. Aber da ist’s vielleicht schwierig, einen Platz zu bekommen?«
    »Das kriegt mein Freund schon hin. Er kennt anscheinend jemand von der Platzreservierung.«
    »Wo spielen wir?«
    »Auf unserem rcw-Platz. Das ist drüben in Oggersheim, ich kann Ihnen einen Plan mitgeben.«
    Ich machte, daß ich ins Rechenzentrum kam, und ließ mir von Herrn Tausendmilch, »das muß aber bitte unter uns bleiben«, einen Ausdruck des aktuel-len Stands der Tennisplatzreservierung geben. »Sind Sie um fünf Uhr noch da?« fragte ich ihn. Er hatte um halb fünf Schluß, war aber jung und erklärte sich bereit, mir Punkt fünf noch einen Ausdruck machen zu lassen. »Ich will Herrn Direktor Firner gerne auf 105
    Ihre Einsatzbereitschaft aufmerksam machen.« Er strahlte.
    Als ich zum Haupttor ging, begegnete mir Schmalz.
    »Hat der Kuchen gemundet?« erkundigte er sich. Ich hoffte, daß der Taxifahrer ihn gegessen hatte. »Sagen Sie Ihrer Frau doch bitte meinen herzlichen Dank. Er hat ganz ausgezeichnet geschmeckt. Wie geht es Ihrem Richard?«
    »Danke. Recht gut.«
    Armer Richard. Nie würde es dir in den Augen deines Vaters sehr gut gehen dürfen.
    Im Auto sah ich mir den Ausdruck der Tennisplatzreservierung an, obwohl mir schon davor klar war, daß ich die Reservierung für Mischkey oder für Buchendorff, nach der ich suchte, nicht fände. Dann saß ich einfach eine Weile im Wagen und rauchte. Eigentlich müßten wir gar nicht Tennis spielen; wenn Mischkey heute nachmittag um fünf da und ein Platz für uns reserviert war, hatte ich ihn. Trotzdem fuhr ich in die Herzogenriedschule, um Babs, die mir noch einen Gefallen schuldete, für das gemischte Doppel in die Pflicht zu nehmen. Es war große Pause, und Babs hatte recht: An allen Ecken schmuste es. Viele Schüler hatten den Walkman um, ob sie nun allein oder in Gruppen her-umstanden, spielten oder schmusten. Reichte ihnen nicht, was sie von der Außenwelt mitbekamen, oder war es ihnen so unerträglich?
    Ich erwischte Babs im Lehrerzimmer, wo sie mit zwei Referendaren über Bergengruen diskutierte.
    »Doch, wir sollten ihn wieder in der Schule lesen«, sag-106
    te der eine. »Der Großtyrann und das Gericht – wie da das Politische jenseits kurzatmiger Tagesaktualität ent-faltet wird, braucht unsere Jugend.« Der andere sekundierte: »Heute ist wieder so viel Furcht in der Welt, und Bergengruens Botschaft heißt: Fürchtet euch nicht!«
    Babs war etwas ratlos. »Ist Bergengruen nicht hoff-nungslos überholt?«
    »Aber Frau Direktor«, kam es unisono, »von Böll und Frisch und Handke will doch heute niemand mehr etwas wissen – wie sollen wir die Jugend denn sonst an das Moderne heranführen?«
    »Grüß Gott im Himmel wie auf Erden«, unterbrach ich und nahm Babs beiseite. »Entschuldige bitte, du mußt heute nachmittag mit mir Tennis spielen. Ich brauche dich wirklich dringend.«
    Sie umarmte mich, verhalten, wie es sich fürs Lehrerzimmer gehörte. »Ja, ist denn das die Möglichkeit! Hattest du mir nicht für das Frühjahr einen Ausflug nach Dilsberg versprochen? Und läßt dich erst wieder sehen, wenn du was willst. Schön, daß du gekommen bist, aber sauer bin ich schon.«
    So sah sie mich auch an, zugleich erfreut und schmollend.
    Babs war eine lebendige und großzügige Frau, klein und stämmig, mit flinken Bewegungen. Ich kenne nicht viele Frauen von Fünfzig, die sich so leger kleiden und geben können, ohne den Charme ihres Alters einer auf-gesetzten Jugendlichkeit zu opfern. Sie hatte ein flächiges Gesicht, eine tiefe Querfalte auf der Nasenwurzel, einen vollen, entschlossenen und manchmal strengen 107
    Mund, braune Augen unter fleischigen Lidern und kurzgeschnittenes graues Haar. Sie lebt mit ihren zwei herangewachsenen Kindern, Röschen und Georg, die sich bei ihr zu wohl fühlen, um den Sprung in die Selbständigkeit zu schaffen.
    »Solltest du wirklich unseren Vatertagsausflug nach Edenkoben vergessen haben? Wenn das so ist, dann ist’s wohl eher an mir, sauer zu sein.«
    »O weh – wann und wo muß ich Tennis spielen?
    Und erfahre ich, warum?«
    »Ich hole dich um Viertel nach vier ab, zu Hause, oder?«
    »Und bringst mich um sieben zur Liedertafel, wir proben heute abend.«
    »Will ich gerne machen. Wir spielen von fünf bis sechs, auf dem rcw-Tennisplatz in Oggersheim, ein gemischtes Doppel mit einer Chefsekretärin und ihrem Freund, dem Hauptverdächtigen meines derzeitigen

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