Selbs Justiz
Beinbruchs der Selbstbrecher und der Bruch durch zuschlagende Autotür verzeichnet seien. Er bot an, das Problem seiner Famula als Thema ihrer Dissertation vorzulegen.
»Reicht dir das Ergebnis in drei Wochen?« Es reichte.
Dann machte ich mich auf den Weg nach Tauberbischofsheim. Ich hatte noch genug Zeit, um gemächlich durchs Neckartal zu fahren und in Amorbach Kaffee zu trinken. Vor dem Schloß lärmte eine Schulklasse, die auf die Führung wartete. Ob man Kindern den Sinn für das Schöne wirklich beibringen kann?
Herr Mencke war ein kühner Mann. Er hatte sich ein Eigenheim gebaut, obwohl er damit rechnen mußte, versetzt zu werden. Er öffnete in Uniform. »Kommen Sie doch rein, Herr Selb. Viel Zeit habe ich allerdings nicht, ich muß gleich wieder rüber.« Wir setzten uns ins Wohnzimmer. Es wurde Jägermeister angeboten, aber keiner trank.
Sergej hieß eigentlich Siegfried und hatte das Eltern-haus zum Kummer seiner Mutter schon mit sechzehn verlassen. Vater und Sohn hatten miteinander gebro-188
chen. Dem sportlichen Sohn war nicht verziehen worden, daß er sich mit einem fingierten Wirbelsäulenscha-den um die Bundeswehr gedrückt hatte. Auch sein Weg zum Ballett war auf Mißbilligung gestoßen. »Vielleicht hat es auch sein Gutes, daß er jetzt nicht mehr tanzen kann«, meinte die Mutter. »Als ich ihn im Krankenhaus besucht habe, war er wieder ganz mein Sigi.«
Ich fragte, wie Siegfried sich seitdem finanziell durchgeschlagen hatte. Da waren anscheinend immer irgendwelche Freunde oder auch Freundinnen gewesen, die ihn unterstützten. Herr Mencke schenkte sich nun doch einen Jägermeister ein.
»Ich hätte ihm gerne was zugesteckt, von der Erb-schaft von Omi. Aber du wolltest ja nicht.« Sie wandte sich vorwurfsvoll an ihren Mann. »Du hast ihn in alles nur immer tiefer reingetrieben.«
»Laß doch, Ella. Das interessiert den Herrn von der Versicherung nicht. Ich muß jetzt auch wieder in den Dienst. Kommen Sie, Herr Selb, ich bringe Sie nach draußen.« Er stand in der Tür und sah mir nach, bis ich mit dem Auto weggefahren war.
Auf der Rückfahrt kehrte ich in Adelsheim ein. Das Gasthaus war voll; ein paar Geschäftsleute, Lehrer vom Internat und an einem Tisch drei Herren, bei denen ich den Eindruck hatte, es handle sich um Richter, Staatsanwalt und Verteidiger vom Adelsheimer Amtsgericht, die die Verhandlung in entspannter Atmosphäre ohne die lästige Anwesenheit der Angeklagten führten. Ich kannte das aus meiner Zeit bei der Justiz.
In Mannheim kam ich in den Feierabendverkehr und 189
brauchte für die fünfhundert Meter durch die Augusta-Anlage zwanzig Minuten. Ich schloß mein Büro auf.
»Gerd«, rief es, und als ich mich umdrehte, sah ich Judith durch die stehenden Autos von der anderen Stra-
ßenseite kommen. »Können wir einen Moment reden?«
Ich schloß die Tür wieder ab. »Laufen wir ein paar Schritte.«
Wir liefen die Mollstraße hoch und die Richard-Wagner-Straße vor. Es dauerte eine Weile, bis sie etwas sagte. »Ich habe überreagiert am Samstag. Ich finde noch immer nicht gut, daß du mir nicht gleich am Mittwoch gesagt hast, was zwischen Peter und dir war.
Aber irgendwie verstehe ich, wie’s dir ging, und daß ich dich so hingestellt habe, als wäre dir nicht zu trauen, tut mir leid. Ich kann ganz schön hysterisch werden, seit Peter tot ist.«
Auch ich brauchte eine Weile. »Heute vormittag habe ich dir einen Schlußbericht geschrieben. Du wirst ihn mit der Rechnung heute oder morgen in der Post finden. Es war traurig. Ich hatte das Gefühl, mir etwas aus dem Herzen reißen zu müssen, dich, Peter Mischkey und eine Klarheit über mich selbst, die ich bei dem Fall zu gewinnen begann.«
»Dann bist du damit einverstanden weiterzumachen?
Sag mir schon mal, was in deinem Bericht steht.«
Wir waren vor der Kunsthalle angelangt; ein paar Tropfen fielen. Wir gingen rein, und ich erzählte ihr, während wir durch die Säle mit den Bildern aus dem 19.
Jahrhundert schlenderten, was ich herausgefunden hatte, vermutete und mich fragte. Vor Feuerbachs Bild der 190
Iphigenie auf Aulis blieb sie stehen. »Das ist ein schönes Bild. Kennst du die Geschichte dazu?«
»Ich glaube, Agamemnon, ihr Vater, hat sie gerade als Opfer für die Göttin Artemis ausgesetzt, damit wieder Wind aufkommt und die griechische Flotte nach Troja auslaufen kann. Ich mag das Bild.«
»Ich wüßte gerne, wer die Frau war.«
»Du meinst das Modell? Feuerbach hat sie sehr geliebt, Nanna, eine
Weitere Kostenlose Bücher