Selbs Justiz
gefahren.
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Was ermittelst du jetzt eigentlich?
Um acht wachte ich auf, aber ich kam nicht hoch. Es war alles zuviel gewesen, der nächtliche Rückflug von New York, die Fahrt nach Karlsruhe, das Gespräch mit Beufer, die Erinnerungen und die Odyssee über ver-schneite Autobahnen.
Um elf rief Philipp an. »Daß man dich endlich mal erwischt. Wo hast du dich denn rumgetrieben? Deine Doktorarbeit ist fertig.«
»Doktorarbeit?« Ich wußte nicht, wovon er redete.
»Frakturen durch Türen. Zugleich ein Beitrag zur Morphologie des Autoaggressiven. Du hast das doch in Auftrag gegeben.«
»Ah ja. Und da liegt jetzt eine wissenschaftliche Ab-handlung vor? Wann kann ich die haben?«
»Jederzeit, du mußt nur bei mir im Krankenhaus vorbeikommen und sie holen.«
Ich stand auf und machte mir Kaffee. Der Himmel über Mannheim hing immer noch voll Schnee. Turbo kam weiß bepudert vom Balkon herein.
Mein Eisschrank war leer, und ich ging einkaufen.
Schön, daß man mit dem Streusalz vorsichtiger umgeht in den Städten. Ich mußte nicht durch braunen Matsch 286
stapfen, sondern lief über knirschenden, festgetretenen Neuschnee. Die Kinder bauten Schneemänner und
machten Schneeballschlachten. In der Bäckerei am Wasserturm traf ich Judith. »Ist das nicht ein herrlicher Tag?« Ihre Augen leuchteten.
»Früher, als ich noch zur Arbeit mußte, habe ich mich über Schnee immer geärgert. Scheiben sauber-machen, Auto springt nicht an, langsam fahren, stek-kenbleiben. Was habe ich mir da nur entgehen lassen.«
»Komm«, sagte ich, »wir machen einen Winterspaziergang zum ›Kleinen Rosengarten‹. Ich lade dich ein.«
Diesmal sagte sie nicht nein. Ich fühlte mich etwas altmodisch neben ihr; sie in wattierter Jacke und Hose und mit hohen Stiefeln, die wahrscheinlich ein Neben-produkt der Weltraumforschung sind, ich mit Paletot und Galoschen. Auf dem Weg erzählte ich ihr von meinen Ermittlungen im Fall Mencke und dem Schnee in Pittsburgh. Auch sie fragte mich gleich, ob ich die Kleine aus ›Flashdance‹ getroffen hätte. Ich wurde neugierig auf den Film.
Giovanni machte große Augen. Als Judith auf der Toilette war, kam er an unseren Tisch. »Alte Frau nix gut? Neue Frau besser? Das nächste Mal ich dich besorgen italienische Frau, dann du haben Ruhe.«
»Deutscher Mann nix brauchen Ruhe, brauchen vie-le, viele Frauen.«
»Dann du müssen viel gut essen.« Er empfahl das Steak Pizzaiola und vorher die Hühnersuppe. »Der Chef hat das Huhn heute morgen selbst geschlachtet.«
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Ich bestellte für Judith einfach dasselbe und dazu eine Flasche Chianti classico.
»Ich war noch aus einem anderen Grund in Amerika, Judith. Der Fall Mischkey hat mich nicht in Ruhe gelassen. Ich bin dann zwar nicht weitergekommen. Aber die Fahrt hat mich mit meiner eigenen Vergangenheit konfrontiert.« Sie hörte meinem Bericht aufmerksam zu.
»Was ermittelst du jetzt eigentlich? Und warum?«
»Ich weiß es nicht genau. Ich würde gerne mal mit Tyberg sprechen, wenn er noch lebt.«
»O ja, der lebt noch. Ich habe öfter Briefe an ihn geschrieben, Geschäftsberichte oder Festtagsgaben geschickt. Er wohnt am Lago Maggiore, in Monti sopra Locarno.«
»Dann möchte ich auch noch mal mit Korten reden.«
»Und was hat der mit dem Mord an Peter zu tun?«
»Ich weiß es nicht, Judith. Ich gäbe sonst was dafür, wenn ich das alles durchschauen würde. Immerhin hat mich Mischkey darauf gebracht, mich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Ist dir zu dem Mord noch etwas eingefallen?«
Sie hatte sich überlegt, ob man die Geschichte nicht an die Presse bringen könnte. »Ich finde es einfach unerträglich, daß die Sache so zu Ende sein soll.«
»Meinst du damit, daß unbefriedigend ist, was wir wissen? Das wird dadurch, daß wir zur Presse gehen, auch nicht besser.«
»Nein. Ich finde, die rcw haben nicht wirklich bezahlt. Ganz egal, wie das mit dem alten Schmalz gelau-288
fen ist, irgendwie fällt das doch in ihre Verantwortung.
Und außerdem erfahren wir vielleicht noch mehr, wenn die Presse in das Wespennest sticht.«
Giovanni brachte die Steaks. Wir aßen eine Weile schweigend. Ich konnte mich mit dem Gedanken, die Sache an die Presse zu geben, nicht befreunden. Mischkeys Mörder hatte ich letztlich im Auftrag der rcw gefunden, jedenfalls hatten mich die rcw dafür bezahlt.
Was Judith wußte und an die Presse geben konnte, wußte sie von mir. Meine professionelle Loyalität stand auf dem Spiel. Ich ärgerte mich, daß ich
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