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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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Kortens Geld genommen hatte. Anders wäre ich jetzt frei.
    Ich erklärte ihr meine Bedenken. »Ich will mir überlegen, ob ich über meinen Schatten springen kann, aber mir wär’s lieber, du würdest warten.«
    »Na gut. Ich war damals ganz froh, deine Rechnung nicht zahlen zu müssen, hätte mir aber gleich denken können, daß so was seinen Preis hat.«
    Wir waren mit dem Essen fertig. Giovanni servierte zwei Sambuca. »Mit den Komplimenten des Hauses.«
    Judith erzählte mir von ihrem Leben als Arbeitslose.
    Zuerst hatte sie die Freiheit genossen, aber langsam gingen die Probleme los. Vom Arbeitsamt konnte sie nicht erwarten, wieder einen vergleichbaren Job vermittelt zu bekommen. Sie müßte sich selber tummeln. Zugleich wußte sie nicht recht, ob sie sich noch einmal in ein Leben als Chefsekretärin schicken wollte.
    »Kennst du Tyberg persönlich? Ich selber habe ihn zum letztenmal vor mehr als vierzig Jahren gesehen und weiß nicht, ob ich ihn wiedererkennen würde.«
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    »Ja, auf dem Jubiläum damals, zum hundertjährigen Bestehen der rcw, war ich abgestellt, mich als sein Mädchen für alles um ihn zu kümmern. Warum?«
    »Magst du mitkommen, wenn ich zu ihm nach Lo-
    carno fahre? Ich würde mich freuen.«
    »Du willst es also wirklich wissen. Wie hast du vor, den Kontakt mit ihm herzustellen?«
    Ich überlegte.
    »Laß mal«, sagte sie, »das fädel ich schon ein. Wann fahren wir los?«
    »Für wann kannst du frühestens einen Termin mit Tyberg organisieren?«
    »Sonntag? Montag? Ich kann’s nicht sagen. Vielleicht ist er auf den Bahamas.«
    »Mach den Termin so bald wie möglich fest, dann fahren wir.«
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    Gehen Sie mal auf die Scheffelterrasse
    Professor Kirchenberg war bereit, mich sofort zu empfangen, als er hörte, daß es um Sergej ging. »Der arme Junge, und Sie wollen ihm helfen. Dann kommen Sie doch gleich vorbei. Ich bin den ganzen Nachmittag im Palais Boisserée.«
    Aus der Presseberichterstattung über den sogenannten Germanistenprozeß wußte ich noch, daß das Palais Boisserée das Germanistische Seminar der Universität Heidelberg beherbergt. Die Professoren fühlen sich als legitime Nachfahren der früheren prinzlichen Bewohner. Als aufmüpfige Studenten das Palais profanierten, wurde mit Hilfe der Justiz an ihnen ein Exempel statu-iert.
    Kirchenberg war besonders prinzlich-professoral. Er hatte eine leichte Glatze, Kontaktlinsen, ein sattes, rosiges Gesicht, und trotz seiner Neigung zur Korpulenz bewegte er sich mit hüpfender Eleganz. Zur Begrüßung nahm er meine Hand in seine beiden Hände. »Ist es nicht einfach erschütternd, was Sergej zugestoßen ist?«
    Ich stellte wieder meine Fragen nach Gemütsverfassung, Berufsabsichten, Finanzlage.
    Er lehnte sich im Sessel zurück. »Serjoscha ist von 291
    seiner schwierigen Jugend gezeichnet. Die Jahre zwischen acht und vierzehn in Roth, einer bigotten fränkischen Garnisonsstadt, waren ein Martyrium für das Kind. Ein Vater, der seine Homoerotik nur in militärischer Kraftmeierei leben konnte, die bienenfleißige, her-zensgute, mimosenschwache Mutter. Und das Tapp, Tapp, Tapp«, er klopfte mit den Knöcheln auf den Schreibtisch, »der täglich ein- und ausmarschierenden Soldaten. Hören Sie sich da ruhig rein.« Er machte mit der einen Hand eine Geste, die mir Schweigen gebot, und klopfte mit der anderen weiter. Langsam verstumm-te die Hand. Kirchenberg seufzte. »Erst im Zusammensein mit mir hat er diese Jahre aufarbeiten können.«
    Als ich den Verdacht der Selbstverstümmelung an-sprach, war Kirchenberg außer sich. »Da muß ich doch laut rauslachen. Sergej hat ein sehr liebevolles Verhältnis zum eigenen Körper, fast narzißtisch. Mit allen Vorur-teilen, die über uns Schwule kursieren, sollte doch we-nigstens begriffen sein, daß wir unseren Körper sorgfältiger pflegen als der landläufige Heterosexuelle. Wir sind unser Körper, Herr Selb.«
    »War Sergej Mencke denn wirklich schwul?«
    »Noch so ein präjudizielles Statement«, sagte Kirchenberg fast mitleidig. »Sie sind nie auf der Scheffelterrasse gesessen und haben Stefan George gelesen. Machen Sie das mal. Dann werden Sie vielleicht spüren, daß Homoerotik nicht eine Frage des Seins, sondern des Werdens ist. Sergej ist nicht, er wird.«
    Ich verabschiedete mich von Professor Kirchenberg und ging an Mischkeys Wohnung vorbei zum Schloß 292
    hoch. Auch auf der Scheffelterrasse verweilte ich für einen Augenblick. Mir war kalt. Oder wurde mir kalt?
    Sonst wurde

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