Selbs Mord
bei der Hütte auf sie gewartet haben? Ich habe keine Ahnung, wie sie uns folgen konnten, ohne daß wir es gemerkt haben. Wir dachten, wir wären allein.« Er preßte die Handballen gegen die Augen und seufzte. »Ich bin den Alptraum noch immer nicht los. Dabei ist das alles, was ich will: aus ihm aufwachen und ihn vergessen.«
Er tat mir leid. Zugleich wollte ich, was er mir erzählte, nicht wirklich wissen. Ich war nicht sein Freund. Ich hatte für ihn einen Auftrag erledigt. Jetzt hatte ich einen anderen Auftrag. »Worüber haben Sie mit Schuler gesprochen, als Sie ihn abends besucht haben?«
»Schuler …« Falls ich ihn durch den Wechsel des Themas gekränkt hatte, ließ er es sich nicht anmerken. »Gregor und ich waren zusammen bei ihm. Er erzählte von seiner Arbeit mit den Akten und von der Straßburger Spur des stillen Teilhabers, die Sie später verfolgt haben. Sonst …«
»Haben Sie ihn nach dem Geld gefragt? Dem Geld im Koffer?«
»Er hat davon geredet, allerdings habe ich es damals nicht recht begriffen. Daß man mißtrauisch wird, wenn man Geld im Keller findet, hat er gesagt. Daß man sich fragt, wem es gehört. Daß unrecht Gut nicht gedeiht – ob wir das vergessen hätten. Dabei hat er Gregor angeschaut.«
»Was haben Sie …«
»Ich war gar nicht die ganze Zeit dabei. Ich hatte … hatte Durchfall und war oft auf der Toilette. Schuler muß in dem Teil des alten Kellers, in dem er eigentlich nichts zu suchen hatte, Geld gefunden haben, das Gregor dort gelagert hatte. Er hat sich Gedanken gemacht und Gregor verdächtigt, weil ich ein Welker bin und Gregor nicht zur Familie gehört. Dann wollte er seinen ehemaligen Schüler wieder auf den richtigen Weg führen.« Er lachte, spöttisch und traurig zugleich. »Sie werden noch wissen wollen, in was für einer Verfassung Schuler war. Er roch schlecht, aber es ging ihm gut. Übrigens hat er nicht gedroht. Er hat nicht einmal gesagt, daß er das Geld hat. Das hat Gregor erst am nächsten Tag herausgefunden.«
Das Lied war zu Ende, es wurde geklatscht, gelacht, gerufen, und dann fing es noch mal an, lauter. Wenn schon nicht mitgetanzt, hätte ich gerne mitgesungen. »Der liebe Gott sieht alles und hat dich längst entdeckt.«
Er legte mir die Hand aufs Knie. »Ich werde, was Sie für mich getan haben, nicht vergessen. Irgendwann wird die Erinnerung an die letzten Monate blasser werden, Gott sei Dank. Bis jetzt sind mir die guten Sachen, die mir zugestoßen sind, immer besser im Gedächtnis geblieben als die schlechten, und was Sie als mein Privatdetektiv für mich getan haben, war eine gute Sache.« Er stand auf. »Gehen wir?«
Als Hildegard Knef das Lied zum dritten Mal sang, tanzte ich mit Brigitte.
DRITTER TEIL 1 Zu spät
W arum konnte es nicht so bleiben? So leicht, heiter und beschwingt, mit ein bißchen Trauer und ein bißchen Wehmut, Trauer um Stephanie Welker, Adolf Schuler und Gregor Samarin, ja, auch um das zerstörerische, zerstörte Leben von Gregor Samarin, und Wehmut, weil wir erst jetzt die Selbstverständlichkeit entdeckten, mit der unsere Füße die richtigen Schritte fanden und wir uns miteinander bewegten und aneinander freuten? Warum konnten wir nicht so durch das Jahr tanzen, durch dieses und noch eines und noch eines, so viele oder wenige Jahre uns eben gegeben waren?
Ich sah dasselbe Glück, das ich fühlte, auf den Gesichtern der anderen; Nägelsbachs lächelten, als teilten sie ein kostbares Geheimnis, aus Philipps Gesicht war der Verdruß über das Altern verschwunden und aus Füruzans die Müdigkeit des langen Wegs von Anatolien nach Deutschland und der viel zu vielen Nächte, in denen sie das Geld verdiente, das sie nach Hause schickte, und Brigitte strahlte, als werde endlich alles gut. Welker tanzte nicht. Er lehnte mit verschränkten Armen am Türrahmen und schaute uns freundlich zu, als warte er darauf, daß wir gingen. Als es für die Kinder Zeit wurde, brachen wir auf.
Ein paar Tage später reiste ich mit Brigitte nach Sardinien. Manu hatte Schulferien und wurde von seinem Vater überraschend zum Skifahren abgeholt. Brigitte, die vom Kommen des Vaters nichts geahnt und in der Praxis keine Termine gemacht hatte, um für Manu frei zu sein, sagte: »Jetzt oder nie.« So weit war es gekommen: Für das, was wir taten oder ließen, zählte nicht mehr mein Kalender, sondern ihrer.
Zehn Tage Sardinien – wir waren noch nie so lange zusammengewesen. Die Pracht unseres Hotels war vergangen, das dunkelrote Leder auf den
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