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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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Sesseln und Sofas in der Halle war brüchig, die Kandelaber im Speisesaal brannten nicht mehr, und aus den messingnen Armaturen im Badezimmer -dampfte anfangs rostiges Wasser. Aber wir wurden aufmerksam bedient und versorgt. Das Hotel lag zwischen den Bäumen eines überwachsenen Parks an einer kleinen Bucht mit Kieseln, und ob wir im Park oder am Strand verweilen mochten – kaum hatten wir’s gedacht, brachte jemand zwei Liegestühle, einen kleinen Tisch, wenn nötig einen Sonnenschirm und nach Wunsch Espresso, Wasser, Campari oder sardischen Weißwein.
    Die ersten Tage haben wir nur gelegen, durch die Blätter in die Sonne geblinzelt und über das Meer zum Horizont geträumt. Dann haben wir ein Auto gemietet und sind entlang der Küste und in die Berge gefahren, auf schmalen, kurvigen Straßen zu kleinen Dörfern mit Kirche und Marktplatz und Blick ins Tal und manchmal bis zum Meer. Auf den Marktplätzen saßen die alten Männer, und ich hätte mich gerne dazugesetzt, zugehört, was für gefährliche Briganten sie früher waren, erzählt, was für ein tüchtiger Detektiv ich einst war, und mit Brigitte angegeben. In Cagliari stiegen wir Treppen über Treppen, bis wir von der Terrasse der Bastion auf den Hafen und die Dächer der Stadt schauten, keines wie das andere. In einer kleinen Hafenstadt war ein Fest mit Prozession, Chor und Orchester, die so herzzerreißend sangen und spielten, daß Brigitte die Tränen kamen. Die letzten Tage lagen wir wieder unter den Bäumen und am Strand.
    In Sardinien habe ich mich in Brigitte verliebt. Das klingt dumm, ich weiß. Wir sind seit Jahren zusammen, und was hat mich mit ihr verbunden wenn nicht die Liebe. Aber erst in Sardinien gingen mir die Augen auf. Wie schön Brigitte war, wenn sie sich nicht sorgen und hetzen mußte. Wie anmutig sie lief, zugleich leichtfüßig und zielstrebig. Was für eine wunderbare Mutter sie Manu war, trotz vieler Ängste voller Vertrauen in ihn. Wie witzig sie sein konnte. Wie nett sie mich auf den Arm nahm. Wie liebevoll sie überhaupt mit mir und meinen Eigenheiten und Gewohnheiten umging. Wie sie meinen Rücken massierte, wenn er weh tat. Wie sie Helligkeit und Fröhlichkeit in mein Leben brachte.
    Ich versuchte, mich an die unerfüllten Wünsche zu erinnern, die sie manchmal geäußert hatte, und sie zu erfüllen. Mal ohne weiteren Anlaß etwas Liebes sagen, Blumen schenken, etwas vorlesen, etwas Schönes ausdenken, was wir noch nie gemacht hatten, sie mit einer Flasche des Weins überraschen, der ihr im Restaurant geschmeckt, oder mit der Tasche, die ihr im Schaufenster gefallen hatte – es waren alles Kleinigkeiten und ich schämte mich, daß ich sie so lange vorenthalten hatte wie ein Geizkragen.
    Die Tage vergingen wie im Flug. Ich hatte Bücher mitgenommen, las aber keines zu Ende. Wenn ich im Liegestuhl lag, sah ich lieber Brigitte beim Lesen zu, statt selber zu lesen. Oder ich sah ihr zu, wie sie schlief und aufwachte. Manchmal wußte sie nicht sofort, wo sie war. Sie sah den blauen Himmel, das blaue Meer, war ein bißchen verwirrt, bis ihr alles wieder einfiel und sie mich verschlafen und glücklich anlächelte.
    Ich lächelte glücklich zurück. Zugleich war ich traurig. Wieder war ich langsam gewesen, hatte Jahre gebraucht, wo Wochen oder Monate hätten genügen sollen. Und weil ich die Erfahrung, daß ich langsam bin, immer dann gemacht habe, wenn ich etwas durch meine Langsamkeit unwiederbringlich versäumt und verloren habe, hatte ich auch hier das Gefühl, es sei für unser Glück eigentlich schon zu spät.

2
Matthäus 25, Vers 14-30
    Manu kam braungebrannt aus den Skiferien und machte Brigitte mit dem Satz »Schon schön, wieder hier zu sein« glücklich. Mich überraschte er mit der Mitteilung, er wolle am nächsten Morgen in die Kirche. In den Skiferien wie schon in Brasilien habe sein Vater ihn in die Messe mitgenommen. Hier sei seine Mutter noch nie mit ihm in einem Gottesdienst gewesen.
    So bin ich am Sonntag mit ihm in die Christuskirche gegangen. Die Sonne schien, am Wasserturm blühten Narzissus und Tulipan viel schöner als Salomonis Seide, und von der Spitze der Kuppel der Christuskirche grüßte uns der goldene Engel mit seiner goldenen Trompete. Was der Pfarrer zum Gleichnis vom anvertrauten Geld und zu dem Diener zu sagen wußte, der seinen Anteil vergräbt, statt mit ihm zu arbeiten, und sich dadurch um seine Verantwortung drückt, traf mich. Was wollte ich mit dem Geld machen, das ich unter der Zimmerpalme

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