Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand (German Edition)
überhaupt keinen zu kaufen, überlässt der potentielle Käufer seine Entscheidung der Aufwandserhöhungs-App, die er auf seinem Smartphone installiert hat, und hat sich ein weiteres Mal entmündigt, jetzt aber unter dem Vorzeichen der Nachhaltigkeit. Seine Smartness hat er an das Produkt abgegeben, dass seine Entscheidungsparameter objektiviert und unabhängig von seinen eigenen Präferenzen die Wahl trifft. Vermutlich liegt darin der verborgene Sinn, der die Kreativabteilung von »Blackberry« in der Bronzezeit des IT-Zeitalters auf die Idee gebracht hat, ihre Handys »Smartphones« zu nennen. Dieser Sinn besteht in intellektueller Fremdversorgung, und er ist auch all jenen »smart grids« hinterlegt, die Stromverbräuche in klimabewussten Haushalten so steuern sollen, dass im Land ein ausgeglichener Zustand zwischen Stromangebot und -nachfrage herrscht. Hier überantwortet der bewusste Energiekonsument die Entscheidung, ob er sich jetzt eine Pizza aufbacken oder die schmutzige Wäsche waschen soll, dem kleinen Rechner, der ihn über die günstigste und daher entsprechend tarifierte Nutzungszeit aufklärt. Verstößt er gegen die Empfehlung, bleibt ihm das schlechte Gewissen, wider besseres Informiertsein das Falsche zu tun – das ist dann: prometheische Scham 2.0.
Etymologisch wird mit dem Anglizismus »smart« denn auch etwas anderes bezeichnet als mit dem deutschen Wort »klug«: Das Übertölpeln von jemand anderem schwingt ja schon mit, wenn jemand sich »smart« verhält oder sich, wie im Amerikanischen, als »smart ass« erweist: so jemandem zollt man Bewunderung, obwohl man von ihm beschissen worden ist. »Klugheit« dagegen ist pragmatisches Wissen, das die relevanten Faktoren assoziativ aufruft und die Entscheidung zugleich an moralische Kriterien bindet. Vor diesem Hintergrund ist die zunehmende Ersetzung der Klugheit durch Smartness symptomatisch für eine Welt, in der man sich auch intellektuell zunehmend fremdversorgen und Programme für sich denken lässt. Damit gibt man zugleich die Kontrolle über seine Entscheidungen an Geräte ab und verzichtet so noch auf die Freiheit des Denkens. Aufklärung und Selbstaufklärung können nicht smart sein. Nur klug.
Protest
Nun aber zurück zu meiner Konfirmandenzeit und meiner ökologischen Erweckung, die ja keine war: Denn in den 1970er Jahren waren die Themen Umweltzerstörung, Luftverschmutzung, Müll, Smog usw. schon ein ebenso großes Thema wie heute. Kein Schulkind konnte den apokalyptischen Szenarien entgehen, die das besorgte Personal in den Schulen, Kirchen, Schullandheimen usw. ausbreitete. Die Regale der Buchhandlungen waren voll von Öko-Schockern aller Art, und ich persönlich habe auch damals schon viel von dem für plausibel gehalten, was dort als düstere Zukunft des Planeten entworfen wurde. Aber auch das stand relativ verbindungslos zu meiner Faszination an Technik aller Art – schließlich waren wir die Generation, für die die NASA so sehr Zukunft verkörperte wie Jacques Cousteau mit seinen Tiefseeexkursionen: Wir lebten ganz und gar ungebrochen im Kulturmodell der immerwährenden Expansion – in die Tiefen des Weltalls wie in die des Ozeans, in die der wissenschaftlichen Erkenntnis wie in die des technischen Fortschritts. Biographisch bilden Ökofatalismus und Fortschrittsglaube keine Widersprüche, und auch gesellschaftlich nicht: Sie sind Geschwister, die sich nicht ausstehen können, sich aber gerade darum wechselseitig zu übertreffen versuchen.
Tatsächlich entwickeln sich ja Naturschwärmerei und Technikkritik historisch in der Romantik, also zu einem Zeitpunkt, da die Frühindustrialisierung sicht- und fühlbare Verluste mit sich bringt – verschmutzte Flüsse, verdreckte Luft, Krankheiten, die unmittelbar mit der harten Industriearbeit oder dem Schuften in den Bergwerken zusammenhingen. Es scheint auch, wenn man etwa die grausamen Begleiterscheinungen der Luftverschmutzung in den frühindustriellen Metropolen London oder Pittsburgh betrachtet, die unter ungünstigen Wetterbedingungen enorme Todesraten mit sich brachten, [65] mit der Entwicklung der Industriegesellschaften immer schon ein Bewusstsein einhergegangen zu sein, dass der Fortschritt eben seinen Preis habe, der aber keinesfalls zu hoch sei, um ihn zu bezahlen. Dass die Verwandlung der Welt im 19. Jahrhundert zugunsten sich verbreiternden Wohlstands und der Ausbreitung von Freiheitsideen und Partizipationsmöglichkeiten nicht ohne Verzicht – auf
Weitere Kostenlose Bücher