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Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand (German Edition)

Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand (German Edition)

Titel: Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Welzer
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der die Nutzungsfrequenz ermittelt wird, können Sie Ihre Mikrogenossenschaft wiederum bei otto.de registrieren lassen, um andere Nutzer gegebenenfalls an ihrem Maschinenpark teilhaben zu lassen. Genial.
    Das Modell lässt sich beliebig erweitern. Man kann das in Mietshäusern mit Waschmaschinen machen, mit luxuriösen Kaffeemaschinen, die sich ein einzelner Nutzer gar nicht leisten könnte, mit Autos, Fahrrädern, Rollern, Segways, Zelten, was immer Sie wollen. Auf diese Weise werden aus Konsumgütern Gemeingüter, man spart Geld, Platz, Material und bekommt nicht nur, was man braucht, sondern wird auch noch Teil einer Gemeinschaft, die zuvor gar nicht existierte. E-Commerce-Händler wie Otto können ihr Geschäftsmodell schon heute darauf abstimmen. Sie verdienen dann weniger mit den Produkten, aber dafür mehr mit Beratungen, Vermittlungen, Reparaturdienstleistungen, sie holen die Geräte ab und bringen sie zum nächsten Nutzer. Die Internethändler kapitalisieren die soziale Intelligenz der Nutzer.

Givebox. Hartmut Wild, Sarah Möller und Victoria Pomsel studieren soziale Arbeit an der Berufsakademie Gera.

Produktivkräfte des Beginnens
    Die Zahl der Gründe, etwas nicht zu tun, ist unendlich. Das gilt besonders dann, wenn die Wirklichkeit, in der man existiert, eine Komfortzone darstellt, die man nur ungern verlässt. Deshalb lohnt es sich, sich auf die Suche nach jenen Handlungsgründen und -motiven zu machen, die mit der expansiven Kultur nichts oder nur wenig zu tun haben, die älteren Ursprungs sind, aber heute noch wichtige Rollen in der Lebenswelt spielen. Denn nach wie vor folgen viele Erfordernisse des Lebens Eigenlogiken, und nach wie vor gibt es daher Wissensbestände, Routinen und Haltungen, die eigensinnig und nicht ökonomisierbar sind.
    Beziehungen zum Beispiel, die Menschen miteinander und zueinander haben, sind niemals rein utilitaristisch. Immer finden sich neben Zwecken und Absichten darin auch Aspekte, die über das rein instrumentelle Verhältnis hinausgehen – so etwa, wenn eine Vorgesetzte nicht nur will, dass ihre Leute tun, was sie für richtig hält, sondern darüber hinaus von ihnen auch als Person gemocht werden möchte. Anerkennungsverhältnisse sind durch reinen Utilitarismus, wie sie etwa die absonderliche Theorie vom Homo oeconomicus voraussetzt, überhaupt nicht oder allenfalls momentweise zu ersetzen. Menschen wollen gemocht, anerkannt, am besten geliebt werden, und zwar nicht dafür, was sie haben, sondern dafür, was sie sind. Meist sind ja Besitz, Macht und Bedeutung nur Mittel, um Anerkennung zu bekommen, was in einer auf Expansivität ausgelegten Kultur auch prächtig funktioniert. Das ist aber nicht damit zu verwechseln, dass ein Investmentbanker einen Ferrari kauft, um ihn zu haben  – er kauft ihn als Mittel, um Anerkennung für das zu ernten, was er zu sein glaubt. Der Ferrari ist in diesem Sinn kein Fortbewegungs-, sondern ein Beziehungsmittel, wie andere Güter, die der Identitätsausstattung dienen (man denke nur an die Harleys, die ja heute vor allem als Identitätsprothesen von Männern in der Midlife-Crisis gekauft und benutzt werden – buy to be wild).

Beziehungsmittel: Ferrari.
    Da die menschliche Lebensform eine durch und durch kooperative Lebensform ist, sind Menschenbilder, wie sie etwa die Ökonomie, der Behaviorismus, aber auch philosophische Alteritätstheorien voraussetzen, falsch. Sie haben irrtümlicherweise eine anthropologische Theorie aus der Beobachtung gemacht, wie Menschen sich im Kapitalismus verhalten, also die Zeitgestalt der Erscheinung des Individuums mit seinem Wesen verwechselt. Das menschliche Gehirn ist konstitutiv auf Kooperation eingestellt, ein biokulturelles Beziehungsorgan, das sich nur in der Interaktion mit anderen Menschen entwickelt. Während die allermeisten nichtmenschlichen Lebewesen mit einem Gehirn ausgestattet sind, das zum Zeitpunkt der Geburt weitgehend ausgereift ist und es dementsprechend vor allem voreingestellte Verhaltensprogramme und Reaktionsmuster sind, die sie überlebensfähig machen, kommen Menschen mit einem sehr unfertigen Gehirn auf die Welt. Die organische Ausreifung einzelner Gehirnareale und -funktionen dauert bei ihnen bis zum jungen Erwachsenenalter an; die Entwicklung der neuronalen Verschaltungsarchitektur geschieht lebenslang. Das bedeutet: Menschliche Gehirnentwicklung findet immer unter Bedingungen von Kultur statt. Die Entwicklungsumgebungen und Fähigkeiten, die Gesellschaften zu einem

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