Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand (German Edition)
Kapitalismus mit eigenen Mitteln schlagen, denn über solche Kombinatoriken verfügt die Gegenseite in der Regel nicht .
Solche Bündnismöglichkeiten hätte es vor ein, zwei Jahrzehnten noch nicht geben können, weil die tradierten Feindbilder noch wirksam waren. Sie tragen zu einer sozialen Bewegung in die nachhaltige Moderne dann bei, wenn sie sich insofern als politisch verstehen, als es ihnen bewusst ist, dass sie ihre Interessen am Fortbestehen der Zukunft gegen jene durchsetzen müssen, die mehr an der Gegenwart interessiert sind. Das nun bedeutet eine Repolitisierung des ökologischen und nachhaltigen Denkens: eine Definition dessen, wer man sein und in welcher Welt man leben möchte. Diese Welt unterscheidet sich hinsichtlich ihrer grundlegenden Vorstellungen vom guten Leben von der heutigen: Sie präferiert Langfristorientierungen gegenüber kurzfristigen, Gemeinwohl gegenüber Eigennutz, Zeitwohlstand gegenüber materiellem Wohlstand, Erhaltung gegenüber Zerstörung, Freiheit gegenüber Konsum.
Keiner derjenigen, die für die Aufrechterhaltung der Gegebenheiten sind, von denen sie profitieren, wird das Feld freiwillig räumen oder durch die Abhaltung internationaler Konferenzen zur Umkehr veranlasst. Der Weg in eine nachhaltige Moderne verläuft nicht über einen herrschaftsfreien Diskurs. Er ist, wie es im Politischen immer der Fall ist, nicht nur eine Frage der besseren Argumente, sondern immer auch eine der besseren Chancen ihrer Durchsetzung. Kämpfen und widerständig sein gehört dazu, genauso, wie gesagt, wie die Bereitschaft, sich selbst zu deprivilegieren. Aber was man an Perspektiven und Chancen in neuen Bündniskombinatoriken gewinnen kann, wird diesen Privilegienverzicht mehr als aufwiegen: Schließlich ist man Teil eines sozialen Lernprozesses mit klarem Ziel und ungewissem Ausgang. Was könnte interessanter sein?
Unbequemlichkeit
Das ist allerdings leicht gesagt, aber schwer getan. Man verletzt nämlich soziale Erwartungen, wenn man nicht einverstanden ist. Ich war unlängst zu einem Mittagessen eingeladen, zu dem sich der Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt mit einer Reihe von Unternehmern, Museumsleitern usw. traf, um über Fragen einer nachhaltigen Zukunft zu sprechen. Ich hatte die Aufgabe, vor dem Lunch eine kurze Rede zum Thema zu halten, und nachdem ich das absolviert hatte, wurde die Vorspeise serviert. Es handelte sich um ein ausgesucht gutes Restaurant, und der Thunfisch, der nun aufgetragen wurde, sah wirklich großartig aus. Freilich wäre es ein eklatanter Widerspruch zu meinen gerade vorgetragenen Überlegungen gewesen, diese Vorspeise zu essen. Aus meiner Sicht gehört es zum kategorischen Imperativ gelebter Zukunftsfähigkeit, sich nicht schuldiger zu machen als unvermeidlich – und Thunfisch zu essen geht heute einfach nicht mehr. Nun saß ich also da mit einem harten Interessenkonflikt. Sollte ich tatsächlich die soziale Konvention verletzen und die Vorspeise ostentativ nicht anrühren? Würde ich damit dem anschließenden Gespräch über meinen Vortrag nicht von vornherein eine unglückliche Richtung und mich selbst als Ökostreber geben? Und damit meinen Gesprächspartnern gleich Tür und Tor für ihre Argumente gegen meine Ausführungen öffnen? Würde ich also nicht genau die Absicht konterkarieren, weswegen ich diese Einladung angenommen hatte? Würde ich mich, kurz gesagt, zu dem Arsch machen, den eingeladen zu haben nach übereinstimmender Auffassung ein Fehler war? Außerdem sah er echt lecker aus, der Thunfisch. Und tot war er nun schon mal obendrein.
Oder: Wäre die Ablehnung dieser ganz und gar idiotischen Vorspeise nicht eine völlig fraglose Angelegenheit, die überhaupt keiner Überlegung bedurfte, einfach eine Frage der Haltung? Was war denn schließlich mit meiner Glaubwürdigkeit mir selbst gegenüber? Klare Sache: Überzeugung geht vor.
Das liest und denkt sich so einfach, ist aber in der jeweils gegebenen Situation überraschend schwierig, so schwierig, dass man einiges Training braucht, um sich nicht immer wieder in den konfligierenden Argumenten gegen sich selbst zu verheddern und den Weg des geringsten Widerstands zu gehen: Thunfisch.
Ich habe in mehreren Büchern beschrieben, dass die sozialen Bedingungen in einer gegebenen Situation darüber bestimmen, welche Entscheidung jemand trifft, sogar dann, wenn es um die Teilnahme an Massenerschießungen, also um eine Entscheidung zum Töten, geht. [160] Auch solche extremen
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