Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand (German Edition)
Selbstverständlichkeit ist, immer und unter allen Umständen genug zu essen haben.
Verbunden damit ist ein ganz fragloses Bewusstsein darüber, dass etwas, was man isst, irgendwo herkommt, also gesät, gewässert, gedüngt, geerntet, transportiert, gesäubert werden muss, während die Wertschöpfungsketten der Gegenwart den zugrundeliegenden Stoffwechsel völlig unsichtbar machen. Fremdversorgung bedeutet immer auch, dass die Produkte herkunfts- und geschichtslos werden. Insofern transportiert Sparsamkeit immer auch ein Bewusstsein über die prinzipielle Begrenztheit von Ressourcen und ist übrigens eine Sozialtechnik, die mit dem menschlichen Vermögen zur Vorausschau und Planung zu tun hat – man sollte sie nicht schon deshalb geringschätzen, weil sie inzwischen quer zum expansiven Kulturmodell liegt. In dem gilt ja schon eine homöopathische Reduktion der Neuverschuldung als »Sparen«, obwohl sie dessen exaktes Gegenteil ist.
Während es in der Politik und in der Administration zum Standard geworden ist, »über seine Verhältnisse zu leben«, gilt es privat nach wie vor nur segmentär als akzeptabel, Schulden zu haben, etwa im Rahmen der Immobilienfinanzierung. Ansonsten geben die meisten Leute tunlichst nicht mehr aus, als sie haben, wirtschaften also nachhaltig. Dass hier eine Verhaltensressource für den Weg in eine nachhaltige Moderne schlummert, erschließt sich etwa auch anhand der kollektiven Klugheit, die sich vor einigen Jahren zeigte, als die Bundesbürger in Umfragen Steuererleichterungen ablehnten, weil die desolaten Staatsfinanzen das nicht zuließen.
Verantwortung
Zum Wertehorizont bürgerlicher und kleinbürgerlicher Kultur im Nachkriegsdeutschland gehörte nicht nur Sparsamkeit, sondern auch – bei aller Wertschätzung von Autoritätsverhältnissen – Eigenverantwortung. Gefasst in die markige Formulierung »für etwas geradestehen« galten Verfehlungen dann als heilbar, wenn man sich zu ihnen bekannte und zerknirscht bereit war, die Konsequenzen zu tragen: Strafe auf sich zu nehmen, einen Schaden zu beseitigen oder zu mildern usw. Das Selbstideal, für etwas geradezustehen, was man angerichtet hat, bedeutet auch, die Konsequenzen des eigenen Handelns abzuwägen und etwas nur dann zu tun, wenn man es nach Lage der Dinge verantworten kann. Es ermöglicht daher auch, Risiken einzugehen und Grenzen zu überschreiten, im Bewusstsein dessen, dass man für die Folgen solcher Überschreitung verantwortlich ist und auch sein kann. Damit hält Eigenverantwortung die Verbindung zwischen Entscheidung und Folgen aufrecht, die notwendig für achtsames Verhalten ist.
Eigenverantwortung wird durch lange Handlungsketten, die immer nur partikulare Verantwortlichkeit zulassen, unterminiert, weshalb die meisten Handlungszusammenhänge in modernen Gesellschaften von systematischer Verantwortungslosigkeit beherrscht sind und umgekehrt ein Gefühl der persönlichen Verantwortung für das, was am Ende einer Handlungskette herauskommt, kaum entwickelt werden kann. Natürlich gehört der Verlust der Zurechenbarkeit von Folgen zu Entscheidungen zu einem kulturellen Modell, das selbst auf die Folgenlosigkeit seines Umgangs mit Ressourcen gebaut ist. Daher ist Eigenverantwortung als soziales Vermögen etwas, das für den Weg in die nachhaltige Moderne unabdingbar ist: Man muss sich, mit Günther Anders gesprochen, vorstellen können, was man herstellen kann.
Im Übrigen sind, philosophisch betrachtet, Menschen die einzigen Wesen, die Verantwortung haben können , weil dafür ein Zukunftsbewusstsein die Voraussetzung bildet, das die künftigen Folgen von Handlungen antizipiert. Nicht wenige Philosophen, unter ihnen Hans Jonas, haben aus diesem Umstand gefolgert, dass Menschen damit auch Verantwortung haben müssen : für andere, zur Daseinsvorsorge, für den guten Umgang mit der Welt: »Für irgendwen irgendwann irgendwelche Verantwortung de facto zu haben […] gehört so untrennbar zum Sein des Menschen, wie dass er der Verantwortung generell fähig ist. […] Damit ist er noch nicht moralisch, aber ein moralisches Wesen, das heißt ein solches, das moralisch und unmoralisch sein kann.« [137] Eigenverantwortlichkeit setzt also die Entscheidung voraus, verantwortlich oder eben unverantwortlich handeln zu wollen . Das Kulturmodell der expansiven Moderne favorisiert – je weiter sie voranschreitet, desto mehr – Unverantwortlichkeit, weil sie die Kausalität zwischen den Voraussetzungen und den
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