Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand (German Edition)
voraussichtlich nie haben. Staudinger führt kein Unternehmen, um Geld zu verdienen, sondern um das Leben in der Region besser zu machen, als es ohne sein Unternehmen wäre. Diese Umdefinition des Unternehmenszwecks ist das Revolutionäre an Leuten wie Heini Staudinger: Man kann erfolgreich auch nach anderen als nach marktwirtschaftlichen Kriterien sein. Ein Geschäft, eine Fabrik, ein Unternehmen kann ein Instrument sein.
Sladeks denken selbst
Hier trifft Heini Staudinger sich mit den Elektrizitätswerken Schönau (EWS), über die schon so viel berichtet worden ist, dass hier die Bemerkung ausreichen mag, dass Ursula und Michael Sladek über viele Widerstände hinweg aus einer Bürgerinitiative gegen Atomkraft ein Stromversorgungsunternehmen geschaffen haben, das heute weit mehr als 100000 Kunden bundesweit mit Strom aus erneuerbaren Quellen versorgt. Auf dem Weg dorthin haben die Sladeks, sie Grundschullehrerin und er Arzt, ihre Gemeinde so radikal verändert, dass selbst das Kirchendach mit Solarpanels bedeckt ist, also die lokale Kultur auf beispielhafte Weise transformiert. Wo Heini Staudingers Stärke die Bedenkenlosigkeit und das Vertrauen in sein Glück ist, ist es bei den Sladeks Beharrlichkeit und Frustrationstoleranz; beide haben aber auf ihre Weise Instrumente zur Veränderung der lokalen und regionalen Konsum- und Energiekultur entwickelt. Bei EWS ist man übrigens nicht nur Kunde, sondern gleichzeitig auch Mäzen eines Fonds, der zum Beispiel Blockheizkraftwerke fördert, indem man zu seinem Kilowattstundentarif einen sogenannten Sonnencent dazubezahlt. Auf diese Weise wird aus dem passiven Kunden ein aktiver Mitgestalter einer anderen Energiekultur; auch dies einer der vielen praktischen Ansätze, mit denen die Sladeks wirksam und selbstwirksam geworden sind. Die Geschichte der EWS ist ein langer Lernprozess; keiner der Beteiligten hätte sich vor zwanzig Jahren träumen lassen, dass er einmal ein Energieversorger würde. Die Vorläuferorganisation der EWS hieß »Schönauer Stromrebellen«, ein Name, der auf den Widerstandscharakter der Entstehungszeit verweist. Die Sladeks und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter waren nicht nur für, sondern vor allem gegen etwas: die Struktur der Fremdversorgung, die Arroganz der großen Stromanbieter, die Quelle des Stroms, den man wohl oder übel abnehmen musste. Sie bezeichneten sich in einer Kampagne zutreffend als »Störfall« für den Normalbetrieb, heute definieren sie, was der Normalbetrieb sein könnte und sollte.
Störfälle.
Christian Felber denkt selbst
Die Elektrizitätswerke Schönau haben, genauso wie die GEA von Heini Staudinger, einen besonderen Unternehmenszweck. Die Unternehmen dienen als Instrumente, die Gesellschaft zu verändern. Normalerweise dienen Wirtschaftsunternehmen dem Ziel, Gewinn zu machen, der privat vereinnahmt wird. Bei eigentümergeführten Unternehmen geht er an die Besitzer, bei börsennotierten an die Shareholder, die Aktionäre. Aktiengesellschaften sind verpflichtet, im Interesse der Aktionäre zu wirtschaften, sie können ihr Geschäftsmodell also gar nicht, wie die EWS oder die GEA, am Gemeinwohl orientieren.
Für die Systematisierung einer gemeinwohlorientierten Unternehmensführung steht Christian Felber, der Vorsitzende von Attac Österreich und Autor eines Buches zur Gemeinwohlökonomie. [188] Seine Idee ist wie alle guten Ideen einfach. Ein gemeinwohlorientiertes Unternehmen ist interessiert am Wohlergehen der Menschen einer Gesellschaft und bewertet das höher als das private Wohl. Demgemäß ist es an Dingen wie Kooperation, Vertrauen, Solidarität, soziale Sicherheit usw. interessiert und definiert den Unternehmenserfolg danach, ob es zum Erreichen solcher Ziele beiträgt.
Um das zu messen, hat Felber einen Index entwickelt, mit dem etwa der Grad der Mitbestimmung, die Zahl der Frauen in Führungspositionen, die Regionalisierung der Wertschöpfungskette, die Transparenz usw. mit Punkten bewertet wird – das ergibt zusammengerechnet die Gemeinwohl-Bilanz des Unternehmens. Je besser es mit dieser Bilanz abschneidet, desto günstiger wirkt sich das steuerlich aus oder desto günstiger kann es sich über gleichfalls gemeinwohlorientierte Banken finanzieren – jedenfalls in mittelfristiger Perspektive. Im Augenblick zahlt sich die Gemeinwohl-Bilanz nur ideell aus, aber trotzdem haben 2011 schon 60 Unternehmen eine solche Bilanz vorgelegt – als Selbstverpflichtung, aber auch als Instrument, das
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