Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand (German Edition)
dem Nachhaltigkeitssektor weiter, als »sustainable business angel«. Das Argument dafür ist einleuchtend: Es müsse ja nicht jeder die Fehler wiederholen, die sie selbst als Newcomer gemacht hatten. Und Kowalsky denkt auch über neue Konzepte genossenschaftlicher Produktion und Konsumtion nach – in diesem Sinn ist Bionade ein bis auf weiteres unabgeschlossener Lernprozess.
Kowalsky und das Projekt Bionade stehen insgesamt dafür, dass man sich den Weg in eine nachhaltige Zukunft nicht einfach, ungebrochen, widerspruchsfrei und linear vorstellen darf: Das Scheitern gehört dazu, Steine, die in den Weg gelegt werden genauso wie eigene Irrtümer und Fehlentscheidungen. Das richtigere Leben im falschen ist mit Hürden ausgestattet, die nicht immer zu überspringen sind. Manchmal muss man um sie herumgehen und anders weitermachen als ursprünglich erhofft oder geplant. Aber nach und nach lassen sich die Spielregeln vielleicht so verändern, dass diejenigen, die unter den alten Regeln gut waren, unter den neuen zu Verlierern werden.
Schridde denkt selbst
Ingenieure hatten einmal ein professionelles Ethos. Das, was sie konstruierten, sollte technisch optimal sein, State of the Art. Ein solches Ethos steht aber leider quer zu wachstumswirtschaftlichen Prinzipien: Produkte, die nicht kaputtgehen, werden nicht ersetzt. Das wurmte zum Beispiel die Hersteller von Glühbirnen, die nach dem ersten großen Verbreitungsschub ab 1900 in den 1920er Jahren eine Sättigung des Marktes verzeichnen mussten: Wer genug Glühbirnen hatte, um seine Wohnung, sein Haus, seine Werkstatt oder seine Fabrikhalle zu beleuchten, brauchte keine mehr. Die Glühbirne ist auch designmäßig und technologisch schnell ausgereizt, so dass man weder durch Moden noch durch Produktinnovationen die Konsumenten vor sich hertreiben kann.
Denn eine Glühbirne hält im Prinzip ewig. In der Feuerwache im amerikanischen Örtchen Livermore wird jährlich der Geburtstag einer Birne begangen, die im Jahre 1901 eingeschraubt worden war und seither Helligkeit verbreitet. Diese Geschichte ist für moderne Menschen überraschend, denn sie gehen aus Erfahrung davon aus, dass der Glühfaden einer handelsüblichen Birne nach einer gewissen Betriebsdauer natürlicherweise durchbrennt. Dass er das tut, ist aber lediglich das Ergebnis der frühesten belegten Absprache eines Kartells der Glühbirnenhersteller, die 1924 gemeinschaftlich beschlossen, die Lebensdauer der Glühfäden technisch zu begrenzen, und zwar auf rund 1000 Stunden. Auf diese Weise würde sich der Käufer nicht betrogen fühlen, zugleich aber ein Ersatzbedarf erzeugt, der der einschlägigen Industrie nachhaltig ein auskömmliches Geschäft erlauben würde.
Seither wird der Ingenieur mit einer unethischen Anforderung konfrontiert: Er muss Produkte so entwickeln, dass sie unterhalb ihrer technischen Potentiale bleiben. Natürlich war das den Männern in den weißen Kitteln zunächst nur schwer beizubringen, weil es eben gegen das berufsethische Selbstverständnis ging, aber heute gehört es zum professionellen Handeln dazu, etwa Bedienfelder so zu konstruieren, dass sie sich nach Ablauf der Garantiezeit weigern, Befehle anzunehmen, oder Drucker mit Zählern zu versehen, die dafür sorgen, dass sie spätestens nach drei Jahren Betriebsdauer unwiderruflich den Betrieb einstellen. Der Fachbegriff dafür: geplante Obsoleszenz.
Als Stefan Schridde, seines Zeichens Betriebswirt und Coach in einem Industrieunternehmen, zufällig auf arte den Bericht »Kaufen für die Müllhalde« sah, war er schockiert und beschloss umgehend, dagegen vorzugehen. Wie ein investigativer Journalist begann er, nach entsprechenden Fällen von eingebautem Murks zu suchen, eröffnete eine Website [190] und lud die Besucher ein, dort von Fällen geplanter Obsoleszenz zu berichten. Er versuchte also, Konsumentenmacht zu organisieren, um etwa eine Petition einreichen zu können, die auf einen Gesetzentwurf gegen geplante Obsoleszenz abzielte, aber er organisierte und vernetzte auch Reparateure, die die geplant gestörten Geräte wieder in Funktion bringen. Schon wenige Monate nach Eröffnung seiner Seite verzeichnete Schridde eine halbe Million Besucher, die Medienberichte über murks.de häuften sich.
Schridde hält es für absurd, dass man in Unternehmen über Corporate Social Responsibility und Nachhaltigkeit spricht, aber dabei die Nutzungsdauer der Produkte nicht berücksichtigt und von der dadurch vervielfachten Müllmenge
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