Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand (German Edition)
eigene Handeln nachhaltiger und gemeinwohlorientiert auszurichten. So eine Gemeinwohl-Bilanz misst den Unternehmenserfolg also nicht monetär, sondern gewissermaßen über die Zukunftsfähigkeit des zugrundeliegenden Geschäftsmodells. Das ist eine radikale Umkehrung des privatwirtschaftlichen Unternehmenszwecks. Vor diesem Hintergrund ist es schon sehr erstaunlich, dass sich in einem Zeitraum von gerade mal zwei Jahren fast 800 Unternehmen, mehr als 2500 Privatpersonen und fast 150 Organisation und Vereine der Gemeinwohlökonomie angeschlossen haben, zumindest ideell. Und unter den überwiegend kleinen Unternehmen findet sich auch schon das eine oder andere größere, zum Beispiel die Sparda-Bank München mit 700 Beschäftigten.
Koordiniert wird das Ganze durch ein Büro in Wien. Im Augenblick wird intensiv am Aufbau einer »demokratischen Bank« gearbeitet, die die bereits vorhandenen Nachhaltigkeitsbanken wie Triodos oder GLS ergänzen soll. Hinter der Gemeinwohlökonomie steckt die anthropologisch gut begründete Überlegung, dass menschliche Überlebensgemeinschaften kooperativ und nicht kompetitiv sind, weshalb es überlebensdienlicher und im Übrigen auch erfreulicher ist, sich am Gemeinwohl statt am individuellen Profit zu orientieren. Aber die Gemeinwohlökonomie hat nicht nur die Theorie auf ihrer Seite, sondern auch ihren raschen Ausbreitungserfolg, der auf die ersichtliche gesellschaftliche Dysfunktionalität der Finanzindustrie zurückgeht: Schädlicher für das Gemeinwohl kann es ja kaum sein als das, was die Banken seit dem Start der sogenannten Finanzkrise praktizieren. Zugleich begreift sich die Gemeinwohlökonomie als Suchbewegung. So heißt es auf der Homepage: »Die Gemeinwohl-Ökonomie ist weder das beste aller Wirtschaftsmodelle noch das Ende der Geschichte, nur ein nächster Schritt nach den Extremen Kapitalismus und Kommunismus. Sie ist ein partizipativer Prozess, entwicklungsoffen und sucht Synergien mit ähnlichen Ansätzen.«
GLS: Eine Bank denkt selbst
Die vor beinahe vier Jahrzehnten gegründet GLS-Bank definiert als ihr Unternehmensziel eine »nachhaltige Gesellschaftsentwicklung«, bewegt sich also schon lange auf der Linie der Gemeinwohlorientierung. Zur Zeit finanziert sie etwa 18000 Projekte von der ökologischen Landwirtschaft bis zu Behinderteneinrichtungen, und sie ist damit sehr erfolgreich. Als eines von sehr wenigen Finanzhäusern hat die GLS-Bank in der Finanzkrise keinen Cent verloren und musste daher auch nicht von Steuerzahlern »gerettet« werden. Sie legt offen, was sie finanziert und was nicht. Nichtnachhaltige Investments kommen für sie nicht in Frage.
Die Geschichte der GLS-Bank beginnt damit, dass der Rechtsanwalt Wilhelm Ernst Barkhoff einer Elterninitiative half, eine Waldorfschule zu finanzieren: Er schlug ihnen einfach vor, ihre Konten bei einer Bank zu konzentrieren und gemeinschaftlich als Sicherheit für ein Baudarlehen einzusetzen. Anfang der 1960er Jahre gründete Barkhoff dann eine »Kreditgarantiegenossenschaft«, die Bürgschaften für gemeinnützige Vereine übernahm. 1974 rief er dann die ebenfalls genossenschaftlich organisierte »Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken«, kurz GLS, ins Leben.
Barkhoff genauso wie der erste Auszubildende bei der GLS, der heutige Chef Thomas Jorberg, definierten Geld als ein Instrument zur Ermöglichung sinnvoller Gesellschaftsgestaltung. Dazu gehört nach der Auffassung der GLS ein kulturelles Modell, das von dem anderer Banken erheblich abweicht – so erhalten GLS-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter keine Provisionen und Boni, aber Zuschläge, wenn sie Kinder haben. Und es herrscht vollständige Transparenz: Vierteljährlich wird die Zeitschrift »Bankspiegel« veröffentlicht, in der alle Kredite gelistet sind, die die GLS im jeweils letzten Quartal vergeben hat.
Neben der Bank, die mittlerweile mehr als 100000 Kunden betreut und unter anderem auch die Gründung der Elektrizitätswerke Schönau sehr intensiv begleitet und unterstützt hat, gibt es noch die GLS Treuhand, die Menschen mit Geld mit solchen zusammenbringt, die es brauchen. Insgesamt ist die GLS ein eindrucksvolles Beispiel für die Wirksamkeit sozialer Intelligenz und der lebendige Gegenbeweis dafür, dass auch ein Unternehmen der Finanzindustrie nicht den vorgeblich systemischen Logiken »der Märkte« folgen und Renditevorgaben von 25 Prozent und mehr ausrufen muss, um erfolgreich zu sein. Aber: Erfolg definiert sich hier eben nach dem
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