Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand (German Edition)
Kriterium der Gemeinwohldienlichkeit. Vor diesem Hintergrund liefert die GLS einen schönen Beleg dafür, dass man mit der richtigen Haltung sogar im falschen System vernünftig wirtschaften kann.
Kowalsky denkt selbst
Im vergangenen Jahrzehnt gab es sicher kein zweites Produkt, das mit der Vorsilbe »bio« so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen und solch ein spektakulären Markterfolg hatte wie die »Bionade«. Die Geschichte, die zum Erfolg des »offiziellen Getränks für eine bessere Welt« geführt hat, ist verworren, zum Teil bizarr und oft erzählt. Es gibt ein ganzes Buch darüber, wie eine chronisch an der Pleite schrammende Brauerfamilie aus der Rhön über zwanzig Jahre hinweg einen genialen Softdrink entwickelt und schließlich zum Erfolg geführt hat. [189] Diese Erfolgs- ist zugleich aber auch eine Scheiternsgeschichte, und aus der kann man wiederum vieles lernen. Heute gehört Bionade vollständig der Radeberger-Brauerei; das liegt nach vielen Verwicklungen daran, dass die Erfinder der Bionade, Dieter Leipold, Peter und Stephan Kowalsky und Sigrid Peter-Leipold, nie frei von Banken, Investoren, Teilhabern usw. agieren konnten, also das Potential, das in dem Projekt steckte, nie wirklich ausschöpfen könnten. Peter Kowalsky definierte ihre Erfindung vor ein paar Jahren mir gegenüber so: »Weißt du, was Bionade ist? Bionade ist kein Getränk, Bionade ist ein Instrument zur Veränderung der Welt.« Dieses Instrument kann vorerst nicht mehr angewendet werden, aber das muss ja nicht das letzte Wort sein.
»Bio« wurde die Bionade übrigens erst durch behördliche Auflagen: Eine EU-Verordnung besagt, dass, wo »Bio« draufsteht, alle Ingredienzien aus ökologischem Anbau stammen müssen. Das war bei der Bionade zum Zeitpunkt der Markteinführung keineswegs der Fall, so dass die Brauer gerade im Augenblick ihres beginnenden Markterfolgs vor der Alternative standen, entweder den (genialen) Namen zu ändern oder tatsächlich komplett auf bio umzustellen. Auf diese Weise kam die Bionade gewissermaßen zu sich selbst. Die Sogwirkung dieser notgedrungenen Umstellung war erheblich – denn zum ersten Mal mussten sich die Brauer mit der Frage befassen, wo man denn überhaupt ausreichende Mengen ökologisch angebauter Litschis oder Holunderbeeren herbekommen könnte. Durch solche höchst praktischen Probleme kam das Thema Nachhaltigkeit mit Macht in die DNA des Unternehmens. Binnen kürzester Zeit entwickelte man das Ziel, alle Ausgangsprodukte für die Bionade nachhaltig zu erzeugen, bis hin zum Wasser, für dessen Gewinnung unter anderem im Rahmen von Schulprojekten »Regenwasserwälder« angelegt werden sollten (und in kleinerem Umfang auch angelegt wurden).
Peter Kowalsky begann, Nachhaltigkeit offensiv zu thematisieren, und es gibt kaum einen Preis mit »öko« oder »bio« im Namen, der ihm im Laufe der vergangenen Jahre nicht verliehen wurde. Tatsächlich hätte aus Bionade der Beweis werden können, dass man mit einem kreislaufwirtschaftlich hergestellten Getränk Erfolg auf dem internationalen Markt haben kann, und sicher wäre Bionade auch hinsichtlich der Unternehmenskultur ein besonderes Unternehmen geblieben. Aber die Geschicke liefen anders: Nach mehreren Marketing- und Kommunikationsdebakeln sanken die Absatzzahlen des kurzzeitigen Senkrechtstarters, und Bionade wurde vom Symbol eines anderen Lebensstils zu einem Softdrink unter anderen. Die symbolische Potenz des Getränks kann man unter anderem daran ablesen, dass die »Bionadisierung« zu einem Synonym für die Ausbreitung eines nachhaltigen Lebensstils wurde, das polemisch gebrauchte »Bionade-Biedermeier«, das der SPIEGEL erfand, darf man ebenfalls als Indikator für die Symbolkraft der Brause nehmen. Gleichviel, 2011 war die Geschichte der Bionade vorüber, so weit sie an die Brauerfamilie aus der Rhön gebunden war.
Warum die Geschichte von Bionade trotzdem wichtig ist? Weil zu den Geschichten über die, die das Unerwartbare tun, an ihre Ideen und Produkte glauben und auf unwahrscheinliche Art erfolgreich sind, natürlich auch Geschichten des Scheiterns gehören. Wer sich in die kapitalistische Wirtschaft begibt, muss ihre Spielregeln beherrschen, und die sind, wenn man die Ebene des Kleinbetriebs verlässt, ziemlich hart. Heute ist einer wie Peter Kowalsky nicht reich, aber klüger: Und seine Erfahrungen gibt er zusammen mit Jürgen Schmidt, dem Aufsichtsratschef des Öko-Büroartikelanbieters »memo«, an junge Unternehmer aus
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