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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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tun. Soviel über Pracht und Herrlichkeit der bewussten Willensbildung.
    Wie wohl nicht besonders betont werden muss, sollten diese faszinierenden Befunde niemanden davon abhalten, sich bewusst für etwas zu entscheiden. Sie legen aber die Vermutung nahe, dass unbewusste Prozesse durchaus und weit stärker, als man allgemein annimmt, zu einer Art Urteil in der Lage sind und dass diese Urteile bei ausreichender Übung durch frühere Erfahrungen und bei Zeitknappheit zu nützlichen Entscheidungen führen können. Unter den Voraussetzungen des Experiments lieferte das aufmerksame, bewusste Grübeln, das sich insbesondere mit großen Anschaffungen verbindet, nicht die besten Ergebnisse. Durch die große Zahl der Variablen, die es zu betrachten gilt, und den beschränkten Spielraum für bewusste Überlegungen – beschränkt durch die begrenzte Zahl von Gegenständen, auf die sich die Aufmerksamkeit gleichzeitig richten kann – verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass man innerhalb des begrenzten Zeitraums die beste Wahl trifft. Der unbewusste Raum im Gehirn dagegen hat eine wesentlich größere Kapazität. Er kann viele Variablen aufnehmen und handhaben und liefert deshalb in einem kleinen Zeitfenster womöglich die bessere Entscheidung.
    Neben allem, was uns die Dijksterhuis-Studie allgemein über die unbewusste Verarbeitung lehrt, weist sie noch auf andere wichtige Themen hin. Eines davon ist der für eine Entscheidung benötigte Zeitraum. Vielleicht würden wir für das Abendessen das absolut beste Restaurant auswählen, wenn wir den ganzen Nachmittag Zeit hätten, die neuesten Restaurantkritiken zu lesen, die Preise auf den Speisekarten und das Ambiente zu vergleichen und dies alles mit unseren persönlichen Vorlieben, unserer Stimmungslage und dem Stand unseres Bankkontos abzugleichen. Aber wir haben nicht den ganzen Nachmittag Zeit. Die Zeit spielt eine Rolle, und wir können nur einen »vernünftigen« Teil davon der Entscheidung widmen. Was vernünftig ist, hängt natürlich von der Bedeutung der Frage ab, über die wir zu entscheiden haben. Angesichts der Tatsache, dass wir nicht alle Zeit der Welt haben und nicht ungeheuer viel in gewaltige Berechnungen investieren können, gibt es einige Abkürzungen. Die gute Nachricht: Aufzeichnungen früherer Emotionen helfen uns bei den Abkürzungen, und für solche Aufzeichnungen ist unser kognitives Unbewusstes ein guter Lieferant.
    Was ich mit alledem sagen möchte: Mir gefällt die Vorstellung, dass unser kognitives Unbewusstes zum Urteilen in der Lage ist und für solche Tätigkeiten mehr »Raum« hat als sein bewusstes Gegenstück. Ein entscheidendes Element für die Erklärung solcher Befunde ist aber die frühere emotionale Erfahrung der betreffenden Person mit Gegenständen, die den verschiedenen großen Anschaffungen in dem Experiment ähneln. Der unbewusste Raum ist weit offen und eignet sich für solche verdeckten Manipulationen, seine Tätigkeit ist für den Betreffenden aber vor allem deshalb von Vorteil, weil bestimmte Möglichkeiten unbewusst durch Vor-Urteile gekennzeichnet wurden, die mit früher erlernten Emotions- und Gefühlsfaktoren im Zusammenhang stehen. Nach meiner Überzeugung sind die Schlussfolgerungen über den Nutzen des Un bewusstseins richtig, aber unsere Vorstellung von dem, was sich unterhalb der glitzernden Oberfläche des Bewusstseins abspielt, wird stark bereichert, wenn wir Emotion und Gefühl in die unbewussten Prozesse einbeziehen.
    Das Dijksterhuis-Experiment verdeutlicht die Kombination aus unbewussten und bewussten Fähigkeiten. Unbewusste Verarbeitung allein könnte die Aufgabe nicht erfüllen. In den Experimenten leisten unbewusste Vorgänge eine Menge, aber die Versuchspersonen profitierten dabei von den bewussten Entscheidungen vieler Jahre, durch die ihre unbewussten Prozesse immer wieder trainiert wurden. Außerdem bleiben die Versuchspersonen vollständig bei Bewusstsein, während die unbewussten Prozesse pflichtschuldigst ausgeführt werden. Bewusstlose Patienten, die unter Narkose stehen oder im Koma liegen, treffen ebenso wenig Entscheidungen fürs wahre Leben, wie sie Spaß am Sex haben. Auch hier ist die gelungene Synergie zwischen verdeckter und offener Ebene das Entscheidende. Wir greifen den ganzen Tag über regelmäßig auf das Unbewusste zurück und übertragen ihm angesichts seiner Erfahrung ganz diskret eine Reihe von Aufgaben, darunter die Umsetzung von Reaktionen.
    Sachkenntnis in den unbewussten Raum

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