Selbst ist der Mensch
auszulagern – genau das tun wir, wenn wir eine Fähigkeit so fein abstimmen, dass wir uns der technischen Schritte zu ihrer Ausübung nicht mehr bewusst sind. Wir entwickeln Fähigkeiten im hellen Licht des Bewusstseins, aber dann schicken wir sie in den Untergrund, in den geräumigen Keller unseres Geistes, wo sie nicht mehr die knappen Quadratmeter unseres bewussten Reflexionsraumes belegen.
Die Dijksterhuis-Studie setzt den laufenden Forschungen zur Rolle unbewusster Einflüsse bei Entscheidungen das sprichwörtliche Sahnehäubchen auf. In einer frühen Phase dieser Arbeiten hatte unsere Forschungsgruppe in dieser Hinsicht entscheidende Belege präsentiert. 5 Wie wir beispielsweise zeigen konnten, machen sich normale Versuchspersonen, die in einem mit Risiken und Unwägbarkeiten behafteten Kartenspiel sowohl gewinnen als auch verlieren können, die siegreiche Strategie ein wenig vor dem Zeitpunkt zu eigen, zu dem sie artikulieren können, warum sie es tun. Einige Minuten bevor sie die vorteilhafte Strategie anwenden, produziert das Gehirn abgestufte psychophysiologische Reaktionen, wenn die Versuchspersonen darüber nachgrübeln, ob sie eine Karte von einem der schlechten Stapel nehmen sollen, die zum Verlust führen, während die Aussicht, eine Karte von einem guten Stapel zu nehmen, keine solche Reaktion hervorruft. Die Schönheit dieses Befundes liegt darin, dass die psychophysiologischen Reaktionen, die in der ursprünglichen Studie anhand der Leitfähigkeit der Haut gemessen wurden, weder von der Versuchsperson selbst noch von einem Beobachter, der über keine Hilfsmittel verfügt, wahrgenommen werden. Sie laufen unterhalb des Bewusstseinsradars der Versuchspersonen ab und sind ebenso verborgen wie die Verhaltensänderung in Richtung der Gewinnstrategie. 6
Was dabei im Einzelnen abläuft, ist bisher nicht vollständig geklärt, aber was es auch sein mag, Bewusstsein ist in dem Moment nicht erforderlich. Vielleicht gibt die unbewusste Entsprechung eines bewussten Bauchgefühls dem Entscheidungsprozess einen »Stoß«, so dass die unbewussten Berechnungen ein schwereres Gewicht erhalten und die Auswahl des falschen Gegenstands verhindern. Aller Wahrscheinlichkeit nach läuft im Untergeschoss des Geistes ein wichtiger unbewusster Denkprozess ab, und dieser Prozess führt zu Ergebnissen, ohne dass die Zwischenschritte jemals bekannt werden. Was das auch für ein Prozess sein mag, er erzeugt die Entsprechung zu einer Intuition , aber ohne das »Aha-Erlebnis«, dass sich die Lösung eingestellt hat; stattdessen liefert er die Lösung in aller Stille.
Die Belege für unbewusste Verarbeitung haben sich unaufhaltsam vermehrt. Mit unseren wirtschaftlichen Entscheidungen lassen wir uns nicht von der reinen Vernunft leiten, sondern wir werden stark von machtvollen »Neigungen« beeinflusst, wie etwa der Abneigung gegen Verluste und der Freude an Gewinnen. 7 Im Umgang mit anderen Menschen spielen Ab- und Zuneigungen, die mit Geschlecht, Rasse, Sitten, Akzent und Kleidung zu tun haben, eine große Rolle; in diesem Zusammenhang sprechen wir meist von Voreingenommenheit oder Vorurteil. Sogar die Situation, in der eine Interaktion stattfindet, trägt eine Art Vor-Urteil in sich: Wie vertraut ist sie mir? Wie gestaltet sie sich? Besorgnisse und Emotionen, die wir vor der Interaktion erleben, spielen ebenfalls eine wichtige Rolle, ebenso die Tageszeit: Haben wir Hunger? Sind wir satt? Blitzschnell drücken wir direkt oder indirekt unsere Vorliebe für Gesichter aus, ohne dass wir Zeit gehabt hätten, bewusst die Daten zu verarbeiten, die eine entsprechende, vernünftige Schlussfolgerung stützen würden. Das alles ist ein Grund mehr, bei wichtigen Entscheidungen in unserem privaten und staatsbürgerlichen Leben große Vorsicht walten zu lassen. 8 Uns von einer unbewussten Welle alter Emotionen leiten zu lassen, wenn wir ein Haus zum Kauf auswählen, ist so lange in Ordnung, wie wir vor Unterzeichnung des Vertrages innehalten und sorgfältig darüber nachdenken, welche Möglichkeit uns das Unbewusste hier eigentlich anbietet. Dann gelangen wir vielleicht zu dem Schluss, dass die Entscheidung nach erneuter Analyse der Daten nicht stichhaltig begründet erscheint, ganz gleich, wie wir die Situation intuitiv eingeschätzt haben – die Erfahrungen, die wir in diesem Bereich in der Vergangenheit gesammelt haben, könnten ja untypisch, einseitig oder unzureichend sein. Umso wichtiger ist dies, wenn wir bei einer Wahl oder als
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