Selbst ist der Mensch
Geschworener abstimmen müssen. Starke emotionale bzw. unbewusste Faktoren gehören zu den größten Problemen, denen die Wähler bei politischen Entscheidungen und die Geschworenen in Gerichtsverfahren gegenüberstehen. Die Wirksamkeit unbewusster, emotionaler Faktoren ist so bekannt, dass sich in den letzten Jahrzehnten eine geradezu monströse Maschinerie zur Beeinflussung von Wahlen gebildet hat; in der Öffentlichkeit weniger bekannt ist, dass es ebenso raffinierte Methoden auch für die Einflussnahme bei der Auswahl von Geschworenen gibt.
Besonders wichtig sind Reflexion und Neubewertung, Tatsachenüberprüfung und erneutes Nachdenken. Es lohnt sich, zusätzliche Zeit für die Entscheidung zu investieren, und zwar vorzugsweise bevor man die Wahlkabine betritt oder dem Juryobmann die Stimme übergibt.
Alle diese Befunde zeigen beispielhaft Situationen, in denen sich unbewusste Einflüsse – ob emotional oder nicht – und unbewusste Überlegungen auf das Ergebnis einer Tätigkeit auswirken. Allerdings sind die Versuchspersonen, wenn man sie mit der Aufgabe konfrontiert und wenn die Entscheidung fällt, bei vollem Bewusstsein und über die Folgen ihrer Handlungen im Bilde. Hier handelt es sich eindeutig um Beispiele für unbewusste Bestandteile von ansonsten bewussten Entscheidungen. Sie verschaffen uns eine Ahnung von den komplexen, vielfältigen Mechanismen hinter der Fassade der angeblich vollkommen bewussten Steuerung, aber sie sprechen nicht gegen unsere Entscheidungsfähigkeit und sprechen uns nicht von der Verantwortung für unsere Handlungen frei.
Eine Anmerkung zum genomischen Unbewussten
Hier ist eine kurze Anmerkung zum genomischen Unbewussten angebracht, einer jener verborgenen Kräfte, gegen die sich das bewusste Denken durchsetzen muss. Was meine ich mit dem genomischen Unbewussten? Ganz einfach: die gewaltige Zahl von Anweisungen, die in unserem Genom enthalten sind, als Leitfaden für den Aufbau des Organismus mit den charakteristischen Eigenschaften von Körper und Gehirn dienen und später auch zur Funktionsfähigkeit des Organismus beitragen. Der Grundaufbau unserer Gehirnschaltkreise erfolgt nach Anweisungen aus dem Genom, und zu diesem Grundaufbau gehört auch die Erstausstattung mit unbewusstem Knowhow, mit dem unser Organismus gesteuert werden kann. Dieses Knowhow beschäftigt sich in allererster Linie mit der Lebenssteuerung, mit Fragen von Leben und Tod sowie mit der Fortpflanzung. Aber gerade weil diese Themen eine so zentrale Stellung einnehmen, begünstigt der Grundaufbau eine Reihe von Verhaltensweisen, die unter Umständen scheinbar von der bewussten Kognition entschieden werden, ihre Triebkraft in Wirklichkeit aber aus unbewussten Dispositionen beziehen. Die spontanen Vorlieben, die sich im Leben schon frühzeitig zeigen und Essen und Trinken, Partnerwahl und Lebensraum betreffen, sind teilweise vom genomischen Unbewussten motiviert, können aber während der gesamten Entwicklung durch individuelle Erfahrungen abgewandelt und modifiziert werden.
In der Psychologie weiß man schon lange, dass das Verhalten unbewusste Grundlagen hat; diese wurden unter den Überschriften »Instinkt«, »automatisiertes Verhalten«, »Triebe« und »Motivation« erforscht. Neu ist aber in jüngster Zeit die Erkenntnis, dass die frühzeitige Ausprägung solcher Dispositionen im menschlichen Gehirn beträchtlichen genetischen Einflüssen unterliegt und dass sie trotz aller Prägung und Umgestaltung, die wir als bewusste Individuen erleben, einen weiten Geltungsbereich haben und erstaunlich umfassend sind. Besonders bemerkenswert ist das im Hinblick auf Dispositionen, auf denen kulturelle Strukturen aufgebaut wurden. Das genetische Unbewusste wirkte schon frühzeitig an der Gestaltung der Künste mit, von der Musik über die Malerei bis zur Dichtung. Es hatte Einfluss auf die anfängliche Strukturierung des sozialen Umfelds mit seinen Regeln und Konventionen. Es hatte, wie Freud und Jung sicher erahnten, mit vielen Aspekten unserer Sexualität zu tun. Es trug viel zu den Grundaussagen der Religionen bei, aber auch zu den altbewährten Handlungsmustern in Theaterstücken und Romanen, die sich zu einem beträchtlichen Teil um die Wirkung der vom Genom angeregten emotionalen Abläufe drehen. Blinde, für den gesunden Menschenverstand, für handfeste Belege und für Vernunft unzugängliche Eifersucht treibt Othello dazu, die völlig unschuldige Desdemona zu töten, und Karenin wird durch die
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