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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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digitale Revolution, die Globalisierung kultureller Informationen und das bevorstehende Zeitalter des Mitgefühls sind Einflüsse, die vermutlich zu strukturellen Veränderungen von Geist und Selbst führen werden; damit meine ich Modifikationen gerade jener Gehirnprozesse, die dem Geist und dem Selbst ihre Form geben.
    Zweitens werden wir in diesem Buch von nun an die Frage, wie ein bewusster Geist aufgebaut wird, aus menschlicher Sicht betrachten; wo es möglich und angebracht ist, werden wir aber auch andere biologische Arten berücksichtigen.

Der bewusste Geist: eine Vorschau
     
    Das Selbst hat viele Ebenen, und die komplexesten verstellen häufig den Blick auf die einfacheren, weil sie unseren Geist mit einer Überfülle von Wissen beherrschen. Wir können uns aber darum bemühen, diese natürliche Verschleierung zu überwinden und die Komplexität sinnvoll zu nutzen. Wie? Indem wir die komplexen Ebenen des Selbst auffordern, die Vorgänge auf den einfacheren Ebenen zu beobachten . Dies ist eine schwierige Übung und nicht ohne Risiken. Introspektion kann, wie wir bereits erfahren haben, irreführende Informationen liefern. Aber da Introspektion den einzigen unmittelbaren Blick auf das ermöglicht, was wir erklären möchten, lohnt es sich, das Risiko einzugehen. Und nebenbei bemerkt: Wenn die derart gesammelten Informationen zu fehlerhaften Hypothesen führen, wird sich dies in zukünftigen empirischen Untersuchungen offenbaren. Die Introspektion erweist sich dann auf faszinierende Weise als innerhalb des Geistes ablaufende Übersetzung eines Prozesses, den komplexe Gehirne in der Evolution schon seit langer Zeit durchexerzieren: Sie sprechen mit sich selbst, und zwar sowohl buchstäblich als auch in der Sprache der Neuronenaktivität.
    Schauen wir also in unseren bewussten Geist hinein und versuchen wir zu erkennen, wie der Geist am unteren Ende seiner vielschichtigen Struktur aussieht, wenn man ihn vom Ballast der Identität, der durchlebten Vergangenheit und der vorausgesehenen Zukunft befreit – der bewusste Geist im Hier und Jetzt. Ich kann natürlich nicht für alle Menschen sprechen, aber meine eigenen Überlegungen sagen mir Folgendes: Zunächst einmal ist der einfache, bewusste Geist auf der untersten Ebene nicht unähnlich dem von William James beschriebenen fließenden Strom mit Objekten darin. Die Objekte in dem Strom sind aber nicht gleichermaßen auffällig. Manche wirken wie vergrößert, andere nicht. Außerdem sind die Objekte relativ zu mir nicht alle auf die gleiche Weise angeordnet. Manche befinden sich in einer bestimmten Perspektive relativ zu einem materiellen Ich, das ich während der meisten Zeit nicht nur in meinem Körper, sondern sogar genauer in einem kleinen Raum hinter meinen Augen und zwischen meinen Ohren ausmachen kann. Genauso bemerkenswert ist, dass manche – aber nicht alle – Objekte von einem Gefühl begleitet sind, das sie eindeutig mit meinem Körper und Geist verbindet. Ohne dass ein einziges Wort gesprochen wird, sagt mir dieses Gefühl, dass ich die Objekte für den derzeitigen Zeitraum besitze und mit ihnen machen kann, was ich will. Dies ist ganz buchstäblich »das Gefühl für das, was passiert«, jenes objektgebundene Gefühl, über das ich früher bereits geschrieben habe. Was die Frage der Gefühle im Geist angeht, muss ich allerdings etwas hinzufügen: Das Gefühl für das, was passiert, ist nicht alles . Man kann ein noch tieferes Gefühl vermuten und es in den Tiefen des bewussten Geistes auch finden. Es ist das Gefühl, dass mein eigener Körper existiert; es ist unabhängig von irgendwelchen Objekten, mit denen es interagieren könnte, vorhanden und bestätigt mir wortlos und unbeirrbar, dass ich am Leben bin. Dieses grundlegende Gefühl, dessen Erwähnung ich in früheren Beschreibungen des Problems nicht für notwendig hielt, möchte ich jetzt als entscheidendes Element des Selbst-Prozesses vorstellen. Ich bezeichne es als ursprüngliches Gefühl und stelle fest, dass es irgendwo im Bereich zwischen Lust und Schmerz eine eindeutige Qualität hat, eine Valenz . Es ist der Urgrund hinter allen Gefühlen von Emotionen und damit auch die Grundlage aller Gefühle, die durch Wechselbeziehungen zwischen Objekten und Organismus verursacht werden. Wie wir noch genauer erfahren werden, werden ursprüngliche Gefühle vom Protoselbst hervorgebracht. 3
    Kurz gesagt, entdecke ich beim Eintauchen in die Tiefen des bewussten Geistes, dass dieser aus verschiedenen

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