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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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Besonderheit jener Jahre: Die meisten Männer waren entweder im Krieg gefallen oder wurden jahrelang in Kriegsgefangenschaft festgehalten. So auch unser Vater, der in verschiedenen Lagern in Bayern gefangen blieb. Es waren Frauen, die das Überleben in Hamburg und anderen Städten sicherten. Frauen trugen die Kriegstrümmer ab und sorgten dafür, dass auf das frühe Nachkriegschaos eine gewisse Ordnung und Stabilität folgte. Das fand ich völlig normal, ich kannte nichts anderes und konnte so auch nicht auf die Idee kommen, Frauen seien schwächer als Männer, weniger begabt oder weniger wert. Als die Männer nach und nach zurückkehrten, wurde die Situation durch sie oft schwieriger. Viele waren krank und verdienten kein Geld, sie mussten gepflegt und ernährt werden. Hätte mir damals jemand gesagt, Frauen bräuchten Männer, um im Leben zurechtzukommen, hätte ich nicht verstanden, wovon die Rede ist.
    Allerdings brachten zurückgekehrte Männer die gut funktionierende Ordnung der Frauenwelt häufig durcheinander. Die Mutter meiner damaligen besten Freundin hatte zum Beispiel bis zum Krieg als Straßenbahnschaffnerin gearbeitet. Im Krieg, als die Männer im Feld waren, übernahm sie die Kurbel, sie wurde Straßenbahnführerin. Viele Jahre sammelte sie Erfahrungen, mit Bravour führte sie die Bahn erst durch den Bombenhagel, dann durch das zerstörte Hamburg, auf verbogenen und verkohlten Gleisen, was eine große Leistung war. Als die einstigen Straßenbahnführer aus Krieg und Gefangenschaft zurückkehrten, degradierte die Hamburger Hochbahn ihre Straßenbahnführerinnen wieder zu Schaffnerinnen, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Die Mutter meiner Freundin fand das ungeheuerlich, meine Mutter, Ursula und ich fanden es ungeheuerlich und unsere Freundinnen ebenso. Dass die zurückkehrenden männlichen Straßenbahnführer keinerlei Erfahrungen mit den Trümmerbergen hatten? Diese Tatsache schien bei der Hamburger Hochbahn nicht von Belang zu sein. Dass es klüger gewesen wäre, qualifizierte Frauen auf ihrer Position zu belassen und die weniger qualifizierten Männer für wichtige neue Tätigkeiten auszubilden? Keiner der Personalverantwortlichen kam auf die Idee. Und diejenigen, die auf solche Ideen kamen – die betroffenen Frauen und ihre Bekannten –, waren mit der Existenzsicherung und Versorgung versehrter Männer dermaßen ausgelastet, dass ihnen die Kraft fehlte, auf die Barrikaden zu gehen. Sie resignierten.
    Später erfuhr ich von vielen ähnlichen Begebenheiten. Eine Juristin hatte die Kanzlei ihres Mannes während des Krieges weitergeführt. Eigentlich durften Frauen den Anwaltsberuf unter der Naziherrschaft nicht ausüben, aber jener Frau hatte man eine Ausnahmegenehmigung erteilt. Während ihr Mann im Feld war, wurde sie zu seiner Stellvertreterin ernannt, es gab dafür das schöne Wort »Verweserin«. Man stufte sie aus einer Not heraus quasi als Mann ein, es war eine Art Mimikry. Als der Ehemann der Juristin aus dem Krieg zurückkehrte, verlor sie umgehend die Zulassung, in der Kanzlei mitzuarbeiten, geschweige denn sie mit zu leiten. Jahrzehnte später lernte ich diese Frau kennen, da war sie bereits eine sehr angesehene Richterin am Bundesarbeitsgericht. Und noch immer erzählte sie zu Recht voller Empörung davon, wie sie einst verdrängt worden war: »Jahrelang hatte ich die Kanzlei geführt, in schwierigsten Kriegszeiten den Betrieb aufrechterhalten. Und kaum war mein Mann zurück, durfte ich nicht einmal mehr Anwältin sein.« Die Frauen hatten zurückzutreten, ohne rationale Begründung. So etwas prägt.
    Mein Vater kam 1948 aus der Gefangenschaft zurück, ich hatte ihn vier oder fünf Jahre nicht gesehen. Eine lange Zeit, insbesondere für ein Kind. Wir waren uns fremd – auch weil er sich sehr verändert hatte. Er war Panzergeneral gewesen, ein Kriegsstratege. Im Ostfeldzug hatte er eine maßgebliche Rolle gespielt, im Balkankrieg hatte er Divisionen geführt. Dann folgte die Gefangenschaft, und degradiert wie alle leitenden Offiziere kam er nach Hause. Er erhielt keine Pension, sie wurde ihm erst zehn Jahre später ausgezahlt. Natürlich passierte bei uns zu Hause das Gleiche wie in den meisten Familien: Der zurückgekehrte Vater meinte, alles müsse auf sein »Kommando« hören – was absolut nicht funktionierte. Wir hatten jahrelang für uns allein gesorgt, und nun mussten wir noch einen weiteren Menschen durchbringen, den Vater. Das war die Situation. Er kam überhaupt nicht

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