Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
anderen Job könnte genau das Gleiche passieren. Es ist, wie es ist.«
Die Kinder hören aufmerksam zu und stellen fest: Der Vater akzeptiert die Vorgabe des Chefs, er wirkt dabei überzeugt und überzeugend. Und vielleicht ist er ein Jahr später schon selbst ein Chef. Während die Mutter, die rein emotional argumentiert und den Chef in Frage stellt, eine einfache Angestellte bleibt und ein viel kleineres Auto fährt als der Vater. Frauen, die irgendwann sehen, dass die Macht an ihnen vorbeigegangen ist, neigen dazu, das Machtsystem an sich zu kritisieren und möglicherweise zu ihren Töchtern zu sagen: »Da oben sitzen doch sowieso nur Nichtskönner. Darum müsst ihr euch nicht kümmern.« Großes Pech für die Mädchen! Natürlich sollen sie nicht kritiklos zu den Mächtigen aufschauen, keineswegs. Aber sie müssen die Regeln begreifen, um mitspielen zu können.
Eine weitere wichtige Fähigkeit, die Mädchen sich am besten von ihren Vätern abgucken können, ist der Umgang mit Netzwerken. Das ungezwungene, natürliche Wir-Gefühl. Die meisten Jungen formieren sich schon in früher Kindheit zu Gruppen, vor allem im Mannschaftssport. Mädchen machen Ballett oder reiten, sie entscheiden sich für Sportarten mit weniger Wir-Gefühl. 99 Prozent aller männlichen Jugendlichen und Männer sind dagegen von Fußball begeistert. Sehr gebildete Männer ziehen fröhlich ins Fußballstadion und verwandeln sich in leidenschaftliche Fans. Sie lassen sich von der Atmosphäre anstecken, jubeln und schimpfen und werfen die Arme in die Luft. Als Senatorin habe ich Fußballspiele sowohl in der HSV-Arena besucht als auch im Berliner Olympia-Stadion. Das Wogen der männlichen Massen fand ich ebenso beeindruckend wie beängstigend. Durch den Fußball haben Männer in allen Lebenslagen auch immer gleich ein gemeinsames Smalltalk-Thema. Jungen werden somit von klein auf daran gewöhnt, dass das Agieren in Netzwerken zum Leben gehört, Spaß macht, Halt gibt und den Menschen weiterbringt. Ein vergleichbares Phänomen fehlt uns Frauen.
Der Begriff »Networking« ist seit einigen Jahren modern, aber seit Jahrhunderten schon sind erfolgreiche Männer vernetzt. Sei es beim Militär, in studentischen Verbindungen, in Gesellschaftsclubs wie Rotary und Lions, in Golfclubs. Sie wissen, es geht nicht anders, und sie haben Freude daran. Wenn sie einen Rat brauchen, einen Kontakt in einer anderen Stadt oder einen neuen Mitarbeiter, dann rufen sie ihre rotarischen Freunde an. Gern auch, wenn es darum geht, ihre Söhne beim beruflichen und sozialen Vorankommen zu unterstützen. Viele Frauen hingegen haben bis heute Probleme mit Netzwerken, sie sprechen abwertend von »Vereinsmeierei« oder »Seilschaften«. Und wenn sie sich doch dazu durchringen, ein Netzwerk aufzubauen, geschieht es häufig, dass sie alle ihre Freundinnen und Kolleginnen einladen. So kann das nichts werden – in einem effektiven Netzwerk geht es um Exklusivität, um einen Inner Circle. Das bedeutet auch, sich abzugrenzen. Viele Frauen finden das suspekt, sie wollen Machtkonzentration vermeiden, aber sie vermeiden sie nicht tatsächlich – sie tragen dazu bei, dass die Macht sich anderswo konzentriert.
Es gibt einige sehr gut funktionierende internationale Frauennetzwerke wie Soroptimist oder Zonta International, bei dem ich Mitglied bin. Auch existieren viele Frauen-Berufsverbände. Aber es ist alles noch recht neu, nicht zu vergleichen mit den Verbindungen, die Männer seit Menschengedenken geknüpft haben. Deshalb ist es so wichtig, dass Männer ihren Töchtern das Networking vorleben, dass sie ihnen vermitteln, wie notwendig und effektiv ein Netzwerk ist.
Wenn Männer und Frauen sich die Erziehung teilen, werden dadurch nicht nur die Frauen entlastet; es bringt den Kindern – und ich sage: vor allem den Mädchen – einen unschätzbaren Gewinn für die Entwicklung ihrer Persönlichkeit, fürs ganze Leben. Es freut mich sehr, zu sehen, mit welchem Engagement und welcher Natürlichkeit sich manche Väter heutzutage ihren Kindern widmen. Und ich finde es tragisch, dass so viele Trennungskinder den Vater nur besuchsweise sehen. Fragt man Frauen, die beruflich sehr erfolgreich sind, nach ihrer Erziehung, so berichtet ein Großteil, dass die Väter eine wichtige Rolle in ihrer Kindheit und Jugend spielten und die Töchter »gepusht« haben. Oft haben sie ihnen spielerisch beigebracht, Hindernisse als positive Herausforderung zu sehen, sich mit Fairness und Sportsgeist gegen
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