Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
Einzelnen ungünstig sind. Mütter, die keinen Zugang zu Hierarchien, Karriere und Erfolg haben, weil sie einen sogenannten typischen Frauenberuf ausüben – wie Sekretärin, Grundschullehrerin, Friseurin oder Krankenschwester –, können ihren Töchtern keinen Zugang zur Welt der Wirtschaft, der höheren Qualifikationen, der Karrieren und der Führungsverantwortung vermitteln. Diese Welt bleibt Mädchen fremd, wenn Väter nicht diesen wichtigen Teil der Erziehung übernehmen.
Um in dieser Welt persönliche Erfolge zu erzielen, ist es elementar wichtig, die Funktion und die Notwendigkeit von Macht und Hierarchien zu kennen. Man muss Machtstrukturen durchdringen, persönlichen Einfluss schaffen und ständig erweitern, muss Hierarchien akzeptieren und sich innerhalb bestehender Hierarchien angemessen bewegen. Den meisten Männern ist das eine Selbstverständlichkeit. Ich denke, dass sich diese Haltung aus der Evolution ergeben hat, denn seit Jahrtausenden wachsen Jungen in Hierarchien auf. Jahrtausendelang war es die Aufgabe der Männer, die Familie gegen Feinde zu schützen und für Nahrung zu sorgen, indem sie auf die Jagd gingen. Beides konnte nicht gelingen, wenn jeder tat, was er wollte. Einer musste vorangehen, die Richtung vorgeben und Entscheidungen treffen. Es war lebensnotwendig, dass alle anderen den Anweisungen folgten. Man konnte weder sagen: »Mach du doch, was du willst«, noch war es möglich, unentwegt die Marschrichtung zu diskutieren. Deswegen kann heute noch jeder Durchschnittsmann sehr gut damit umgehen, dass jemand in der Hierarchie über ihm steht, und er neigt nicht dazu, die Entscheidungen des Oberen ständig in Frage zu stellen. Sicher kommt es vor, dass ein unqualifizierter Chef die Nerven seiner männlichen Mitarbeiter strapaziert. Das Prinzip der Hierarchie werden die Mitarbeiter deshalb jedoch nicht anzweifeln.
Ganz anders die Durchschnittsfrau: Sie neigt dazu, Höhergestellte mit Argwohn zu betrachten, Anweisungen in Frage zu stellen und Gegenvorschläge zu machen. Sie kann Macht nur schwer akzeptieren und bewegt sich unbeholfen innerhalb von Hierarchien. Dahinter steckt wohl ebenfalls die Evolution, denn in der Geschichte der Menschheit waren Frauen die meiste Zeit für den häuslichen Bereich zuständig, in dem es kein oder kaum ein Machtgefüge gab. Vielleicht war einer jungen Frau die Mutter oder Schwiegermutter vorangestellt, natürlich hatte der Mann die Position des Familienoberhauptes inne, und die Kinder hatten zu gehorchen. Doch die häusliche Arbeit an sich erforderte keine Führung und keine Gefolgschaft. Die Familie konnte gut überleben, wenn eine Frau kochte, wusch, nähte und Feuer machte, wann und wie es ihr gefiel. Frauen hatten zwar das theoretische Wissen, dass zum Beispiel eine Majestät an der Spitze der Gesellschaft steht und man ihr nicht widersprechen kann. Frauen lernten, dass so die Welt funktionierte. Aber es war nicht ihre Welt. Und seitdem Macht nicht mehr allein erblich, sondern durch persönlichen Einsatz erreichbar ist, erscheint sie vielen Frauen umso suspekter, ist sie noch schwieriger zu akzeptieren.
Wir haben Hierarchien in der Politik, in der Wirtschaft, in der Verwaltung, in der Wissenschaft – überall. Um selbst Karriere zu machen, muss man die bestehende Hierarchie zunächst verstehen, dann akzeptieren, seine Position darin finden und einen Plan haben, wie man nach und nach in der Hierarchie aufsteigt. Diesen selbstverständlichen Umgang mit Macht können Mädchen in der Regel nur von Männern lernen, vor allem von Vätern, aber auch von Brüdern, Onkeln, Nachbarn, Freunden. Im alltäglichen Umgang können die Männer den Mädchen ein Vorbild sein und vermitteln, was es bedeutet, Teil einer Hierarchie zu sein. Eine typische Szene wäre etwa die folgende: Man stelle sich eine Familie am Abendbrottisch vor.
Vater: »Schlechte Nachrichten: Wir können nicht wie gewohnt im Frühling verreisen. Mein Chef hat eine Urlaubssperre verhängt.«
Mutter: »Dieser blöde Kerl! Das lässt du dir bieten?«
Vater: »Ja, ich habe doch von unserem neuen Großkunden erzählt. Bis zu den Frühjahrsferien ist nicht genug Zeit, um alle Stellen zu besetzen und die neuen Mitarbeiter einzuarbeiten.«
Mutter: »Und deshalb sollen wir auf unseren Familienurlaub verzichten? Würde dein Chef dich wirklich wertschätzen, ließe er dich verreisen. Ich habe doch schon immer gesagt: Er will dir nicht gut. Du solltest dir einen anderen Job suchen.«
Vater: »In einem
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