Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
Bankrotterklärung.
Meine Tochter Andrea brachte sich recht früh selbst bei, den eigenen Weg einzuhalten. Auf dem Bürgersteig vor unserem Haus suchte sie sich eine Reihe von Gehwegplatten aus und spazierte schnurgerade darauf hin und her. Kam ihr eine Frau entgegen und wich aus, freute Andrea sich, aber das passierte relativ oft und war bald schon keine große Herausforderung mehr. Ein besonderer Erfolg war es für sie hingegen, wenn ein Mann ihr freie Bahn ließ. Sie probierte verschiedene Methoden aus: stehen bleiben und lächeln oder einfach weitergehen und eine Kollision riskieren. Sie war sehr vergnügt, wenn entgegenkommende Männer in letzter Sekunde zur Seite sprangen.
Männer und Frauen sind unterschiedlich, sei es aus biologischen, psychologischen oder sozialen Gründen. Das Verschiedensein an sich ist kein Problem – problematisch wird es für Frauen nur dadurch, dass ihre speziell weiblichen Fähigkeiten oft dazu beitragen, sich von Männern dominieren zu lassen. Mädchen und Frauen haben in der Regel ein großes Harmoniebedürfnis, sie sind wenig konfliktbereit, nehmen sachliche Konflikte oft persönlich, tragen Verletzungen davon, die lange nachwirken. Sie wollen in allererster Linie gemocht, wenn nicht gar geliebt werden. Da auch ich eine Frau bin, kann ich das alles sehr gut verstehen. Auch ich hätte es gern, dass alle Welt mich liebt – aber ich habe gelernt, dass das nicht geschieht. Und auch ich habe keine Lust, tagtäglich bis an die Zähne bewaffnet in den Krieg zu ziehen – aber ich weiß, dass es manchmal nicht anders geht. Wer seine Würde und sein Selbstwertgefühl erhalten möchte, kann sich nicht ausschließlich so verhalten, dass er geliebt wird. Man darf nicht ständig zweiter Sieger bleiben und sich denken: Ehe ich in den Kampf ziehe, habe ich lieber meine Ruhe und überlasse dem Gegner kampflos das Feld. Solch ein Verhalten rächt sich immer. Wenn ich einen Konflikt nicht austrage, der ausgetragen werden muss, lebt er weiter und immer weiter fort.
Im Allgemeinen sind Frauen wohl einfühlsamer und intuitiver als Männer. Frauen hören den Schnee fallen und das Gras wachsen. Immer wieder passiert es, dass eine Frau in einen Raum kommt, einen dort sitzenden Menschen anschaut und sofort fragt: »Was ist los? Was hast du?« Ohne dass zuvor ein Wort gesprochen wurde, weiß die Frau: Hier stimmt etwas nicht! Bei Männern ist diese Fähigkeit oft nicht so stark ausgeprägt. Sie brauchen ein paar Minuten länger und ein paar Worte mehr, um zu merken, dass etwas nicht in Ordnung ist.
Mit Verallgemeinerungen muss man vorsichtig sein, aber sie helfen auch, die Welt ein bisschen besser zu verstehen. Deshalb erlaube ich mir, zu behaupten, Frauen haben oft mehr soziale Kompetenz als Männer, sie sind vorsichtiger, nachgiebiger und rücksichtsvoller. Männer zeigen sich eher risikobereit, ihr Machtgefühl und ihr Machtbedürfnis sind größer. Keine dieser und der vielen weiteren »typisch männlichen« oder »typisch weiblichen« Eigenschaften macht den Mann oder die Frau zu einem besseren oder schlechteren Wesen.
Gleichberechtigung heißt nicht, dass alle gleich sein sollen. Eine Gesellschaft, bestehend aus lauter gleichen Menschen, wäre nicht nur furchtbar langweilig, sondern auch zum Scheitern verurteilt. Oft ergänzen Frauen und Männer einander ein drucksvoll – weshalb trotz allem immer noch viele Mann-Frau-Partnerschaften gut funktionieren. Auch in Organisationen und Unternehmen zeigt sich immer wieder, dass gemischte Gruppen die größten Erfolge erzielen.
Feministinnen verfolgen ihre Ziele bisweilen recht radikal. Ihre Anliegen sind meistens auch die meinen, nämlich gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Um dies zu erreichen, verhalten sie sich bisweilen wie Revolutionäre, die auf die Barrikaden steigen und die Bastille anzünden. Jeder weiß, dass so etwas manchmal nötig ist. Aber es hat immer wieder auch sehr erfolgreiche friedliche Revolutionen gegeben. Revolutionen, bei denen die Kämpfer mit Argumenten überzeugten, nicht mit Geschrei und Gewalt. Mein Weg ist eher die stille, aber unbeirrte Revolution, deshalb bin ich wohl keine Feministin im Sinne der Frauenbewegung der siebziger Jahre.
Auch mag ich Männer. Ich arbeite gern mit Männern zusammen, als Familienrechtsanwältin vertrete ich mindestens genauso viele Männer wie Frauen, auch zu meinem Freundeskreis zählen Männer und Frauen gleichermaßen. Emanzipation liegt mir am Herzen – ich möchte, dass
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