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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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Nachhilfeschüler war ein intelligenter Junge, der eine Fünf nach der anderen nach Hause brachte. So viel ich auch mit ihm lernte und so gut er alles verstand – es half nichts, die Noten blieben schlecht. Bis ich herausfand, woran es lag: Seine Eltern verlangten von ihrem Sohn, dass er nach dem Abitur Theologie studierte, um Pastor zu werden wie der Vater. Dazu hatte der Junge aber nicht die geringste Lust. Er schlussfolgerte: Wenn ich das Abitur nicht schaffe, kann ich auch nicht Pastor werden. »So geht es nicht weiter. Du verbaust dir deine Zukunft. Lass mich mit deinen Eltern sprechen«, bot ich ihm an. Erst bat er mich inständig, es nicht zu tun, denn er hatte Angst vor deren Reaktion. Doch schließlich konnte ich ihn überzeugen, und bald konnte ich auch seine Eltern überzeugen. »Ich rate Ihnen dringend, dem Kind seine Freiheit zu geben«, sagte ich. »Schreiben Sie ihm nicht die Studienwahl vor, sonst macht er kein Abitur. Es ist passiver Widerstand, den er leistet. Ihr Sohn ist viel zu intelligent, um sich selbst zu verleugnen und Ihre Vorstellungen blind zu verwirklichen.« Kurz darauf eröffneten ihm die Eltern, er könne studieren, was er wolle. Von Stund’ an waren seine schulischen Leistungen gut. Ich verlor dadurch zwar meinen Job, aber das war mir die Sache wert.
    Bei anderen Nachhilfeschülern kam es zu ähnlichen Situationen. Wenn ich sehe, dass ein Mensch in Schwierigkeiten ist und dass ich die Möglichkeit habe, ihm zu helfen, dann finde ich es selbstverständlich, diese Hilfe zu leisten. Ob in der Schule, ob als Nachhilfelehrerin, ob in meinen beruflichen Tätigkeiten bis heute: Mein Gerechtigkeitssinn gegenüber Schülern, Lehrern, Eltern, Mitarbeitern und Kollegen hat mir nicht nur Sympathien eingebracht – wer versucht, gerecht zu sein, macht sich keineswegs nur Freunde. Deshalb blieb mein Bedürfnis nach Zuneigung und Anerkennung oft unbefriedigt; oft war ich auch unsicher und machte mir Gedanken, ob mein Handeln richtig sei. Aber de facto konnte ich einfach nicht anders, als mich für die Gerechtigkeit zu engagieren.
    Wie schon an der Grundschule übersprang ich an der Oberschule ein weiteres Jahr. Die Lehrer hatten mir das nahegelegt, ihr Vorschlag gefiel mir zunächst überhaupt nicht. Ich war mir nicht sicher, den Anforderungen genügen zu können, ich hatte Angst zu scheitern. Und dass der Umgang mit zwei Jahre älteren Klassenkameradinnen eine zusätzliche Herausforderung war, konnte ich mir auch gut vorstellen. Dennoch folgte ich dem Rat der Lehrer, auch weil meine Mutter sich ihnen anschloss. So erklärt sich, dass ich trotz des Krieges und der damit verbundenen extensiven Unterrichtsausfälle bereits 1951 mit 18 Jahren Abitur machte. Von der Schulbehörde erhielt ich eine Urkunde: »Bestes Abitur seit 20 Jahren«. Mit solch einer Aussage kann eine Achtzehnjährige wenig anfangen, sie war für mich ohne greifbaren Wert. Sie tat zwar der Eitelkeit gut, andererseits bekam ich dadurch eine Alleinstellung, die mir in dem Alter nicht angenehm war.
    »Mädchen gehören mit 16 Jahren eingestampft«, lautete einer der Lieblingssprüche meines Vaters. Das klang hart, aber er meinte es nicht böse, es war seine Art auszudrücken, dass ihm junge Frauen oft zu kompliziert waren. Die raue Sprache der Soldaten hatte er verinnerlicht, auch nach der Entlassung wählte er seine Worte nicht immer mit Feingefühl. Wer ihn anstrengte, war »nicht auszuhalten« und sollte »bloß wegbleiben!«. Ich nahm es ihm nicht übel. Auch wenn ich anderswo unfaire Urteile über junge Frauen hörte, dachte ich höchstens: Die Armen, sie wissen es nicht besser! Ohnehin prallten die Äußerungen an mir ab, ich bezog mich nicht in die Gruppe der Diskriminierten ein. Mein Vater bestätigte mich, indem er sagte: »Mädchen gehören mit 16 Jahren eingestampft – mit einer Ausnahme: Meine Tochter soll Bundesrichterin werden.« Seine Inkonsequenz war ihm vollends bewusst, interessierte ihn aber nicht. Mit »meine Tochter« meinte er mich. Was vielleicht die These untermauert, dass er in mir eine Art Sohn-Ersatz sah. Meine Schwester nahm er nicht explizit aus von seiner Behandlungsidee für junge Frauen. Doch sie musste sich den Spruch nicht anhören, Ursel war damals schon aus dem Haus.
    Bundesrichterin bin ich nicht geworden, dafür aber einiges andere: Richterin zum Beispiel, Rechtsanwältin, Justizsenatorin in Hamburg und Berlin, aber auch früh geschiedene, alleinerziehende Mutter dreier Kinder. Alles jeweils zu

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