Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
andere durchzusetzen. Väter müssen sich ihrer Verantwortung für die Zukunft der Töchter bewusst sein. Mütter allein vermögen das oft noch nicht zu leisten.
Mein Vater konnte mir nur weniges durch sein Vorbild vermitteln, denn er war ja fast nie da. Dafür hatte ich das Glück, dass meine Mutter eine besonders qualifizierte, selbständige und freiheitlich denkende Frau war. Hätte jemand ihr gegenüber geäußert, dass Frauen schwach sind und männlicher Hilfe bedürfen, um im Leben zurechtzukommen – meine Mutter hätte skeptisch gelächelt.
Dass eine Mutter zweier Kinder in Vollzeit berufstätig war, galt damals als sehr ungewöhnlich. Ursula und ich kannten es nicht anders und haben nie Gedanken gehegt wie etwa: Hätte sie doch bloß mehr Zeit für uns! Im Gegenteil: Schon als junge Frau fragte ich mich oft, warum unsere Mutter beruflich nicht mehr aus sich machte. Sie war sehr begabt, warum blieb sie Lehrerin, warum stieg sie nicht auf in der Hierarchie und wurde Schulleiterin? Später sprach ich sie direkt darauf an. Ihre Antwort lautete: »Schulleiterin zu werden wurde mir mehrfach angeboten. Ich habe abgelehnt, weil ich Zeit für euch Kinder haben wollte.«
Das ist ein Motiv, das man akzeptieren muss, aber wirklich begriffen habe ich es nie. Meinem Empfinden nach hat ein Mensch, der begabt und erfahren ist in seinem Beruf, geradezu die Verpflichtung, voranzugehen und Einfluss zu gewinnen. Pädagogischen Einfluss im Falle meiner Mutter – nicht nur für sich, sondern für die Jugend, die Gesellschaft. Sie hätte außerdem die Möglichkeit gehabt, Karriere in der Schulbehörde zu machen, doch sie nutzte sie nicht. Ich bin mir nicht sicher, aber ich halte es für möglich, dass sie ihre Mutterrolle auch ein wenig als Alibi nutzte. Manche Frauen tun das – ob bewusst oder unbewusst: Sie begründen ihren Karriereverzicht mit Familienaufgaben, haben in Wirklichkeit aber auch Angst oder sind zu bequem, um sich der Konkurrenz – vor allem der männlichen Konkurrenz – im Beruf zu stellen.
Leider hatten meine Kinder nicht dauerhaft den Vater als Erziehenden bei sich, der sie in die Denk– und Handlungsweise der Männer hätte einführen können. Denn meine Ehe verlief nicht glücklich und wurde nach elf Jahren geschieden. Zwar sahen meine Kinder ihren Vater auch danach regelmäßig, aber der nötige Lernprozess hinsichtlich Hierarchien konnte mangels ausreichender Gelegenheit nicht stattfinden. Deshalb bemühte ich mich, den Kindern beides zu sein, ich spielte die Mutter– und die Vaterrolle; vermittelte ihnen eine Vorstellung von der Berufswelt, von Machtstrukturen, Netzwerken, Verantwortung.
Leider starb mein geschiedener Mann sehr früh, im Jahr 1984. Nun fiel mir endgültig die gesamte Verantwortung für die kleine Familie zu.
In unserer Welt passiert es heute noch viel zu oft, dass Mädchen und Frauen von ihrem Weg abkommen, sich von Männern verdrängen lassen. Junge Frauen in Deutschland haben heute im Durchschnitt eine höhere Bildung als junge Männer: 47 Prozent der Frauen zwischen 20 und 25 Jahren verfügen über die Allgemeine Hochschulreife oder Fachhochschulreife – eine Qualifikation, die nur 38 Prozent der gleichaltrigen Männer haben. Im Alter zwischen 30 und 35 Jahren können gleich viele Frauen wie Männer einen Fachhochschul-, Hochschulabschluss oder eine Promotion vorweisen. Unter den Führungskräften in Unternehmen finden sich jedoch weniger als ein Drittel Frauen – die meisten von ihnen arbeiten in eher kleinen Betrieben; mit zunehmender Firmengröße sinkt der Anteil von Frauen mit Leitungsposition. Besonders haarsträubend ist die Situation in Vorständen und Aufsichtsräten, beispielsweise bei deutschen Banken und Sparkassen, deren Angestellte zu weit über 50 Prozent dem weiblichen Geschlecht angehören: In den Vorständen und Geschäftsführungen hundert großer Banken lag der Frauenanteil im Jahr 2011 bei nur drei Prozent, ihr Anteil in den Aufsichts - und Verwaltungsräten betrug 17 Prozent. In den hundert größten deutschen Unternehmen ohne den Finanzsektor fanden sich zwei Prozent Frauen in den Vorständen und Geschäftsführungen und elf Prozent in den Aufsichts - beziehungsweise Verwaltungsräten.
Im Klartext: Mengen höchstqualifizierter Menschen bleiben nach Erlangung ihrer Qualifikation auf der Strecke, minder qualifizierte Kollegen übernehmen die Führung. Das ist nicht nur schade für die überholten Frauen – es ist eine wirtschaftliche und soziale
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