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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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Frauen und Männer sich emanzipieren. Das bedeutet zum Beispiel: Männer müssen den häuslichen Bereich und die Kindererziehung für sich entdecken und zulassen – »das Gedöns«, wie Gerhard Schröder es einst unpassenderweise nannte. Die Emanzipation haben wir erst dann erreicht, wenn Männer selbstverständlich und mit Freude auch von ihrer Familienarbeit berichten.
    Feminismus, Emanzipation, Gleichstellung – man mag es nennen, wie man will, kein Begriff trifft exakt das, was mich bewegt. Mich treibt meine Überzeugung an, dass alle Menschen bei aller Verschiedenheit ihrer Fähigkeiten, ihrer Funktionen, ihrer Tätigkeiten denselben unverlierbaren Wert haben. Diese Gleichwertigkeit ist unabhängig von Geschlecht, Alter, sozialem Status. Es geht mir um Menschenwürde, um Menschenrechte. Und im Speziellen um die Rechte derer, die diese Rechte selbst nicht oder nur unvollkommen wahrnehmen können: Frauen und Kinder.

Gaben und Geben
    Latein war eines meiner Lieblingsfächer. Zuerst hatte ich keine Lust darauf, denn Latein genießt ja einen ähnlichen Ruf wie Mathematik: Mädchen können das nicht. Wenn der Unterricht beginnt, fürchten sich viele Mädchen, sie denken, jetzt wird es ganz schrecklich, sind wie gelähmt und erwarten ihr sicheres Scheitern. So war es auch bei uns in der Schule. Aber ich merkte sehr bald, dass Latein eine faszinierende Sprache ist, die man gut lernen kann. Der Unterricht machte mir großen Spaß, bis heute finde ich Latein beeindruckend. Es ist sehr logisch und kommt meinem Bedürfnis nach Ordnung, Klarheit und Konzentration entgegen. Mit zwei Wörtern drückten die Römer aus, wofür wir auf Deutsch einen ganzen Nebensatz brauchen.
    Ich hatte eine Eins in Latein, bis wir einen Lehrer bekamen, der davon überzeugt war, dass ein Mädchen unmöglich sehr gut sein konnte in Latein. »Sind Sie die Schwester von der Schwester?«, fragte er mich vor der Klasse – er meinte Ursula, die ein normal begabtes Mädchen war und keine Meisterschülerin in Latein. Ich bejahte. »Und Sie haben eine Eins?« Ich bejahte abermals. »Das wird sich ändern!« Zu seinem Leidwesen konnte er mir für fehlerlose Klassenarbeiten keine schlechten Noten geben. Aber er konnte meine mündlichen Leistungen abwerten. Das tat er, sodass ich im Zeugnis eine Zwei bekam. Ich ging zu ihm und sagte in freundlichem Tonfall: »Das wird sich ändern.« Weiterhin nahm ich engagiert am Unterricht teil. Dafür brauchte ich mich weder zu verstellen noch besonders anzustrengen, Latein machte mir ja Spaß. Und schon am Ende des nächsten Halbjahres musste der Lehrer anerkennen, dass meine mündlichen und schriftlichen Leistungen gleichermaßen sehr gut waren. Meine Eins bekam ich zurück.
    Bald schon gab ich Latein-Nachhilfestunden für meine ganze Klasse; die Schulleiterin war auf mich zugekommen und hatte mich darum gebeten. Aus heutiger Sicht wirkt das verrückt: Eine Schülerin stellt sich vor ihre versammelten Mitschülerinnen und erklärt ihnen, was der Lehrer nicht zu erklären vermag. Anfangs fühlte ich mich dabei durchaus unwohl, aber so waren eben die Zeiten, man verhielt sich pragmatisch: Was nötig und möglich war, das machte man.
    Da viele Schulen im Krieg zerstört worden waren, teilte sich mein Mädchengymnasium ein Gebäude mit einem Jungengymnasium. Eine Woche hatten die Mädchen vormittags Unterricht und die Jungen nachmittags, in der folgenden Woche war es umgekehrt. Koedukation gab es damals an der Oberschule noch nicht. Im Prinzip. Trotzdem stand eines Tages der Lehrer einer Jungenklasse vor mir und bat mich, seine Schüler in meine Latein-Förderstunden aufzunehmen. Ich überlegte kurz und erwiderte dann: »Ja, die Jungen können dazukommen. Aber nur, wenn sie sich ruhig verhalten im Unterricht und wenn sie ihre Hausaufgaben machen.« Dass dies nicht immer die Regel war, wusste ich von meiner Mutter, die an der Realschule auch gemischte Klassen unterrichtete. Als Lehrerin kümmerte sie sich immer besonders um Jungen, die »Spätheimkehrer«, wie sie sie nannte, weil Jungen ihrer Erfahrung nach oft langsamer lernten als Mädchen. Natürlich waren sie nicht weniger intelligent, doch sie ließen sich leichter ablenken, interessierten sich für andere Dinge mehr als für den Unterrichtsstoff und »vergaßen« immer wieder, ihre Hausaufgaben zu machen; wohingegen die Mädchen mehrheitlich konzen triert dem Unterricht folgten und alle Aufgaben erledigten, die ihnen aufgetragen wurden.
    Heute wird oft

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