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Starrkopf bist!«, schnaubte meine Mutter und stürmte hinaus. Ich konnte nicht fassen, dass sie sich so aufregte – sie bekam doch jetzt ihren Willen.
Ich schaute Dad fragend an.
Er machte gerade eine kleine Pause, bevor er an dem Gemälde weiterarbeitete, das bis Ende des Monats fertig sein sollte. »Sie will nur dein Bestes, das ist alles«, sagte er und lehnte sich entspannt zurück.
»Du doch auch, aber du rastest nie so aus«, erwiderte ich.
»Stimmt. Aber deine Mutter und ich haben eben unterschiedliche Vorstellungen davon, was gut für dich ist.« Er lächelte mich an. Den Mund hatte ich von ihm geerbt – mitsamt der Fähigkeit, arglos Dinge zu äußern, die dann Probleme verursachten. Mom neigte zum Aufbrausen, konnte aber in entscheidenden Situationen den Mund halten. Ich nicht. Und jetzt schon gar nicht?…
»Dad, wenn ich einen Sechser oder sogar Siebener heiraten wollte, würdest du es mir erlauben?«
Mein Vater stellte seinen Becher ab und sah mich an. Ich bemühte mich um eine ausdruckslose Miene. Dann seufzte er schwer.
»America, ich würde dich auch einen Achter heiraten lassen, wenn du ihn liebst. Aber du musst wissen, dass Liebe in einer Ehe manchmal schwindet, wenn man zu sehr unter Druck steht. Wenn ein Mann nicht für dich sorgen kann, fängst du vielleicht an, ihn zu hassen. Und wenn es deinen Kindern schlecht geht, kann es ganz schlimm werden. Unter solchen Umständen hat Liebe manchmal keine Chance zu überleben.«
Er legte seine Hand auf meine, damit ich ihn anschaute. Ich versuchte nicht betroffen zu wirken.
»Aber ich will vor allem, dass du geliebt wirst«, fuhr Dad fort. »Du verdienst es, geliebt zu werden. Und ich hoffe sehr, dass du aus Liebe heiratest und nicht wegen einer Zahl.«
Er konnte mir nicht sagen, was ich hören wollte – dass es tatsächlich so sein würde –, aber vorerst musste ich mich damit zufriedengeben.
»Danke, Dad.«
»Und sei nicht so streng mit deiner Mutter. Sie versucht nur, alles richtig zu machen.« Er küsste mich auf den Kopf und machte sich wieder an die Arbeit.
Ich seufzte und beschäftigte mich weiter mit dem Formular. Es kam mir vor, als sei meine Familie der Ansicht, dass ich kein Recht auf eigene Wünsche hätte. Das ärgerte mich, aber ich wusste, dass ich nichts dagegen tun konnte. Bei unserem Status konnten wir uns den Luxus des Wünschens nicht erlauben. Wir standen zu sehr unter Druck.
Als ich fertig war, ging ich mit dem Formular in den Garten. Mom nähte einen Rocksaum, während May im Schatten des Baumhauses ihre Schulaufgaben machte.
»Hast du’s echt ausgefüllt?«, fragte May und begann sofort wieder, aufgeregt herumzuzappeln.
»Hab ich.«
»Und warum hast du’s dir anders überlegt?«
»Mom kann sehr überzeugend sein«, sagte ich etwas spitz, aber meine Mutter schien sich ihrer Bestechungsaktion nicht zu schämen. »Sobald du Zeit hast, können wir zum Bürgeramt gehen, Mom.«
Sie lächelte. »Braves Mädchen. Mach dich startklar, dann gehen wir los. Ich will das so schnell wie möglich erledigen.«
Ich holte meine Schuhe und meine Tasche und blieb vor Gerads Zimmer stehen. Mein kleiner Bruder starrte auf eine leere Leinwand. Wir probierten alles Mögliche mit ihm aus, aber nichts schlug wirklich an. Man brauchte sich nur den ramponierten Fußball in der Ecke oder das gebrauchte Mikroskop anzuschauen, das wir einmal vor Weihnachten anstelle unserer Gage bekommen hatten, und es gab keinen Zweifel daran, dass Gerad nicht für die Künste geschaffen war.
»Fällt dir nichts ein?«, fragte ich und trat in sein Zimmer.
Er schaute auf und schüttelte den Kopf.
»Vielleicht könntest du es mit Bildhauerei probieren, wie Kota. Du hast tolle Hände. Du würdest das sicher gut können.«
»Ich will kein Bildhauer werden. Und ich will auch nicht malen oder singen oder Klavier spielen. Ich will Ball spielen.« Er stampfte mit dem Fuß auf.
»Ich weiß. Aber das kannst du doch auch in deiner Freizeit machen. Du musst etwas lernen, womit du Geld verdienen kannst. Ich bin mir sicher, du schaffst das.«
»Aber warum?«, sagte er kläglich.
»Das weißt du doch. Das schreiben die Gesetze vor.«
»Aber das ist ungerecht!« Gerad stieß die Leinwand von der Staffelei. Stäubchen wirbelten durch die Luft. »Wir können schließlich nichts dazu, dass unser Urgroßvater oder sonst wer arm war.«
»Ich weiß.« Es war wirklich schwer hinzunehmen, dass man Beschränkungen erdulden musste, weil die Vorfahren die Regierung
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