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Grün.
Und dann lief ich einfach los. Immer noch ein bisschen zittrig, aber ich schaffte es zur Tür und hinaus auf den Flur. Ich rannte zur Treppe, blind für die Gemälde oder das goldene Dekor an den Wänden. Wenn ich mich unten nach rechts wandte, musste ich auf die großen Glastüren zum Garten stoßen. Wenigstens in den Garten zu kommen, würde schon helfen.
Ich raste die Treppe hinunter, und meine nackten Füße machten klatschende Laute auf dem Marmorboden. Die Wachen, an denen ich vorbeikam, hielten mich nicht auf. Erst als ich mich den Glastüren näherte, wurde es schwierig.
Die Türen waren von zwei Wachmännern flankiert, und einer von ihnen versperrte mir mit seinem Speer den Weg.
»Tut mir leid, Miss, aber Sie müssen in ihr Zimmer zurückgehen«, sagte er streng. Er sprach nicht besonders laut, aber in der Stille wirkte seine Stimme wie Donnerhall.
»Nein … nein. Ich muss … raus«, stotterte ich keuchend.
»Sie müssen in Ihr Zimmer zurückgehen, Miss.« Jetzt trat auch der zweite Wachmann auf mich zu.
»Bitte.« Ich rang nach Luft, fürchtete, gleich ohnmächtig zu werden.
»Tut mir leid?… Lady America, nicht wahr?« Er schaute auf mein Namensschild. »Sie müssen zurückgehen.«
»Ich … ich bekomme keine Luft mehr«, keuchte ich und sank dem Wachmann in die Arme. Sein Speer fiel zu Boden. Ich klammerte mich schwächlich an ihn. Mir war furchtbar schwindlig.
»Lasst sie los!« Das war eine weitere Stimme, jung, aber gebieterisch. Es gelang mir, in die Richtung zu schauen, aus der sie kam. Da stand Prinz Maxon. Ich sah ihn in einem verdrehten Winkel, erkannte ihn aber an seinen Haaren und seiner förmlichen Haltung.
»Sie ist zusammengebrochen, Eure Majestät. Sie wollte nach draußen«, erklärte der erste Wachmann nervös. Wenn er mir irgendwie geschadet hatte, schwebte er in höchster Gefahr – immerhin war ich jetzt Eigentum des Staates Illeá.
»Machen Sie die Türen auf.«
»Aber?… Eure Majestät.«
»Machen Sie die Türen auf und lassen Sie das Mädchen los. Sofort!«
»Natürlich, Eure Hoheit.« Der erste Wachmann brachte einen Schlüsselbund zum Vorschein. Ich hörte ein Klacken, als der Riegel beiseite glitt. Der Prinz betrachtete mich aufmerksam, als ich versuchte mich aufzurichten. Der süße Duft der frischen Nachtluft drang an meine Nase, und ich löste mich aus dem Griff des Wachmanns und rannte in den Garten hinaus.
Dabei torkelte ich ein bisschen, als sei ich betrunken, aber es war mir egal, ob ich einen eleganten Eindruck machte oder nicht. Ich musste einfach draußen sein. Genoss die warme Luft auf der Haut, das weiche Gras unter den Füßen. Hier im Palast schien sogar die Natur eleganter zu sein. Eigentlich zog es mich zu dem Wald, aber meine Beine trugen mich nicht weit. Vor einer kleinen Steinbank sank ich zu Boden, legte die Arme auf die Sitzfläche und ließ meinen Kopf darauf ruhen.
Mein Körper hatte nicht mehr die Kraft zum Schluchzen, die Tränen flossen ganz still. Wie war ich nur in diese Lage geraten? Wie hatte ich das zulassen können? Was sollte hier aus mir werden? Würde ich jemals wieder mein früheres Leben zurückbekommen? Oder wenigstens Teile davon? Ich wusste es nicht. Und ich konnte mir auch nicht helfen.
Ich war so versunken in meinen Jammer, dass ich Prinz Maxon erst bemerkte, als er mich ansprach.
»Ist alles in Ordnung, meine Liebe?«, fragte er.
»Ich bin nicht Ihre Liebe.« Ich blickte auf und sah ihn mit unverhohlenem Abscheu an.
»Was habe ich Ihnen denn getan? Habe ich Ihnen nicht gerade das ermöglicht, was Sie sich gewünscht hatten?« Meine Reaktion schien ihn tatsächlich zu verwirren. Vermutlich nahm er an, dass wir ihn alle vergöttern und dem Himmel danken sollten für sein Dasein.
Ich starrte ihn böse an, wobei ich mit meinen tränenverschmierten Wangen wohl wenig beeindruckend wirkte.
»Verzeihen Sie, meine Liebe, aber wieso weinen Sie?«, fragte er indigniert.
»Hören Sie auf, mich so zu nennen! Ich bin Ihnen doch höchstens so lieb wie die anderen vierunddreißig fremden Mädchen, die Sie hier wie in einem Käfig gefangen halten.«
Er trat näher. Meine Äußerung schien ihn nicht zu verärgern. Seine Miene war eher nachdenklich, was interessant aussah.
Für einen jungen Mann war sein Gang erstaunlich anmutig, und er wirkte unglaublich gelassen. Mein Mut schmolz ein wenig dahin, als ich mir meine Lage klarmachte. Prinz Maxon trug einen vornehmen Anzug, und ich saß hier halbnackt am Boden. Und nicht
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