Selection
Fünfern, die es ins Casting geschafft haben.« Auf den Bildern sah ich besser aus, als ich mich in der Situation gefühlt hatte. Ich erinnerte mich vor allem an meine Traurigkeit, als ich in der Menge nach Aspen Ausschau gehalten hatte. Aber ich wirkte reif und warmherzig auf den Bildern, und die Szene, in der ich meinen Vater umarmte, war schön und bewegend.
Doch die Sequenz im Flughafen war noch weitaus intensiver geraten. »Wir wissen alle, dass die Kastenherkunft beim Casting keine Rolle spielt, und es hat den Anschein, als solle man Lady America nicht unterschätzen. Bei der Ankunft in Angeles war sie auf Anhieb der Liebling der Massen, ließ sich fotografieren, gab Autogramme und sprach mit allen Fans. Miss America Singer zeigt keine Scheu, und viele glauben, dass unsere Prinzessin genau diese Eigenschaft benötigt.«
Jetzt wurde ich von fast allen anderen Mädchen angestarrt. Nun sah ich auch in deren Augen diesen Blick, der mir zuvor schon bei Emmica und Samantha aufgefallen war, und ich verstand ihn. Sie alle wussten ja nicht, dass ich gar keinen Wert legte auf den Sieg. Für die anderen Erwählten stellte ich einfach eine Bedrohung dar. Eine Bedrohung, die sie schnellstens loswerden wollten.
10
Beim Essen blickte ich auf meinen Teller. Im Damensalon war ich noch mutiger gewesen, weil ich Marlee bei mir gehabt hatte, die mich nett fand. Doch als ich dann zwischen den anderen saß, deren Hass ich fast körperlich spüren konnte, verließ mich der Mut. Als ich einmal aufschaute, sah ich Kriss Ambers bedrohlich mit ihrer Gabel fuchteln. Und sogar die vornehme Ashley sah beleidigt aus und sprach nicht mit mir. Obwohl ich mich in meinem riesigen Zimmer nicht wohlfühlte, wäre ich jetzt gerne dorthin geflüchtet.
Ich verstand nicht, weshalb die anderen sich so aufregten. Es konnte ihnen doch egal sein, ob ich beim Volk beliebt war oder nicht. Hier im Palast hatte das doch keinerlei Bedeutung.
Um mich abzulenken, konzentrierte ich mich auf das Essen. Es gab Steak, und so etwas hatte ich Weihnachten vor ein paar Jahren zuletzt gegessen. Mom hatte sich damals viel Mühe gegeben, aber dieses Steak hier war unvergleichlich saftig, zart und aromatisch. Ich hätte gerne eines der Mädchen gefragt, ob es auch für sie das beste Steak ihres Lebens war. Hätte Marlee neben mir gesessen, hätte ich das auch getan. Ich schaute heimlich zu ihr hinüber. Sie unterhielt sich leise mit ihren Tischnachbarinnen.
Wie gelang ihr das? Sie war doch in der Sendung auch als Favoritin dargestellt worden. Wieso sprachen die anderen noch mit ihr?
Zum Nachtisch wurden Früchte in Vanilleeis serviert, und es kam mir vor, als hätte ich noch nie zuvor wirklich gegessen. Wenn das hier Essen war, was hatte ich dann bislang zu mir genommen? Ich dachte an May und ihre Schwäche für Süßes. Und dass sie hier im siebten Himmel wäre.
Wir durften erst aufstehen, nachdem alle ihr Mahl beendet hatten, und hatten strenge Anweisung, sofort schlafen zu gehen.
»… denn morgen früh lernen Sie Prinz Maxon kennen, und Sie wollen doch so gut wie möglich aussehen«, hatte Silvia gesagt. »Schließlich wird er der künftige Gatte von einer von Ihnen sein.«
Ein paar Mädchen seufzten sehnsüchtig.
Diesmal klang das Klacken unserer Absätze auf der Treppe leiser. Ich konnte es kaum erwarten, die Schuhe und das Kleid endlich loszuwerden. In meinem Rucksack hatte ich noch eine Garnitur meiner eigenen Sachen, und ich überlegte mir, ob ich sie anziehen sollte, um mich wenigstens kurz wie ich selbst zu fühlen.
Oben nahm Marlee mich beiseite.
»Alles okay mit dir?«, fragte sie.
»Ja. Aber ein paar Mädchen haben mir beim Essen komische Blicke zugeworfen«, sagte ich und bemühte mich, nicht jämmerlich zu klingen.
»Sie sind nur ein bisschen nervös, weil du so beliebt bist«, sagte Marlee beruhigend.
»Aber du doch auch. Ich hab die vielen Schilder gesehen. Warum waren die anderen nicht auch gemein zu dir?«
»Du hast noch nicht viel Erfahrung mit Mädchengruppen, oder?«, fragte Marlee lächelnd.
»Nein. Ich war fast nur mit meinen Geschwistern zusammen.«
»Wirst du zu Hause unterrichtet?«
»Ja.«
»Also, ich habe zu Hause Unterricht mit einer Gruppe ViererMädchen, und die versuchen immer, mich fertigzumachen. Sie loten meine Schwächen aus und hauen dann voll drauf. Indem sie mir giftige Komplimente machen zum Beispiel oder sticheln oder so. Ich weiß, dass ich lebhaft und kraftvoll rüberkomme, aber in Wirklichkeit bin ich
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