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Titel: Selection Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiera Cass
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wundern, wirkte aber recht gelassen.
    Als ich allein war, streifte ich die Pumps ab und genoss das Gefühl, barfuß zu sein. Dann packte ich meine Sachen aus, wofür ich nicht lange brauchte. Meine eigenen Kleider ließ ich in der Reisetasche und verstaute die anderen in dem großen Schrank. Dabei warf ich einen Blick auf meine neue Garderobe. Es waren nur ein paar Kleider, für eine Woche vielleicht. Verständlich. Wieso sollte man auch viele Kleider für jemanden nähen, der vielleicht schon am nächsten Tag wieder abreiste?
    Ich holte die Fotos von meiner Familie heraus und steckte sie an den ausladenden Spiegel. Daneben stellte ich meine kleine Schmuckschachtel mit Ohrringen und Haarbändern. Die Sachen würden hier wohl sehr schlicht wirken, aber ich hing so an ihnen, dass ich sie unbedingt bei mir haben wollte. Meine Bücher stellte ich in ein Regal neben der Balkontür.
    Ich schaute in den Garten hinaus, der von zahlreichen Wegen durchzogen war. Überall blühten Blumen, es gab viele Bänke und Brunnen, und sämtliche Hecken waren akkurat geschnitten. Hinter diesem kultivierten Stück Land befand sich eine Wiese, die an einen großen Wald grenzte. Er erstreckte sich so weit nach hinten, dass man nicht mehr sehen konnte, ob er noch von den Palastmauern umfasst war.
    Ich wandte mich dem Gegenstand zu, den ich noch in der Hand hielt.
    Dem Glas mit dem einzelnen Penny. Ich drehte es hin und her und horchte auf den Laut, der entstand, als der Penny darin herumrollte. Warum hatte ich das mitgenommen? Um die Erinnerung an etwas wachzuhalten, was ich nicht haben konnte?
    Dieser Gedanke – dass die Liebe, die ich jahrelang an einem stillen heimlichen Ort gehegt hatte, nun außer Reichweite für mich war – trieb mir die Tränen in die Augen. Nach all der Aufregung und Anspannung des Tages war das einfach zu viel. Ich wusste noch nicht, wo ich das Glas später aufbewahren wollte. Vorerst stand es nun auf meinem Nachttisch.
    Ich dimmte das Licht, legte mich auf die edle Bettwäsche und starrte auf das Glas. Ich erlaubte mir, traurig zu sein. Und an ihn zu denken.
    Wieso hatte ich in so kurzer Zeit so viel verloren? Seine Familie zu verlassen, in einer fremden Stadt zu leben und von dem Menschen getrennt zu werden, den man liebt, sollten eigentlich Prozesse sein, die sich über Jahre erstreckten, nicht über nur einen einzigen Tag.
    Ich fragte mich, was Aspen mir vor meiner Abreise hatte sagen wollen. Offenbar war es ihm schwergefallen, es auszusprechen. Hatte es etwas mit ihr zu tun?
    Ich betrachtete das Glas.
    Vielleicht hatte er sich entschuldigen wollen? Ich war ja am Abend zuvor ziemlich hart mit ihm umgesprungen.
    Wollte er mir erzählen, dass er sich eine andere gesucht hatte? Nun, das hatte ich ja mit eigenen Augen gesehen, schönen Dank auch.
    Oder hatte er mir sagen wollen, dass es niemand anderen gab in seinem Leben? Dass er mich noch immer liebte?
    Ich schob den Gedanken beiseite. Diese Hoffnung durfte ich mir jetzt nicht erlauben. Ich musste Aspen hassen. Brauchte den Zorn, um durchzuhalten. Möglichst lange möglichst weit von ihm entfernt zu sein, war ein guter Grund für meinen Aufenthalt hier.
    Doch die Hoffnung ließ sich nicht vertreiben, und sie schmerzte. Dazu gesellte sich Heimweh – ich sehnte mich danach, dass May zu mir ins Bett kroch, wie sie es manchmal tat. Und dann war da auch noch die Befürchtung, dass die anderen Mädchen mich loswerden wollten und mich das auch spüren lassen würden. Die Nervosität, weil ich hier unentwegt von Kameras beobachtet und später dem ganzen Land präsentiert würde. Und die Angst, dass jemand aus politischen Gründen versuchen könnte, mich umzubringen. All diese Gefühle kamen zu schnell, und ich konnte sie nach diesem langen Tag nicht verarbeiten.
    Ich sah nur noch verschwommen. Merkte nicht einmal, dass ich zu weinen begonnen hatte. Plötzlich bekam ich keine Luft mehr und zitterte am ganzen Körper. Ich sprang auf und rannte zur Balkontür. Zuerst gelang es mir in meiner Panik nicht, den Riegel zu öffnen, aber dann ließ er sich endlich lösen. Doch nicht einmal die frische Luft reichte aus, um mich zu beruhigen. Ich atmete immer noch zu flach und zu hastig.
    Man hatte mich meiner Freiheit beraubt. Ich war hier gefangen. Und unten sah ich die Palastmauer mit den Wachen. Ich musste hier raus. Doch das war verboten. Verzweiflung packte mich und schwächte mich noch mehr. Sehnsüchtig blickte ich zu dem Wald hinüber. Von dort aus sah man bestimmt nur

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