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hinwegzukommen. Obwohl ich nicht wusste, ob mir das jemals gelingen würde. Meine Mom hatte einmal gesagt, dass man seine erste Liebe nie vergisst. Aber wenn ich eine Zeit lang genügend Abstand hatte, würde ich mich vielleicht wieder normaler fühlen.
Meine Zofen fragten nicht, weshalb ich verquollene Augen hatte, sondern unternahmen etwas dagegen. Sie äußerten sich auch nicht zu meinen wirren Haaren, sondern ließen ihnen wortlos Pflege angedeihen. Ich war dankbar dafür. Zu Hause hatte sich oft niemand um mich gekümmert, wenn ich traurig war. Meine Zofen spürten offenbar, wenn es mir nicht gut ging, und waren dann umso fürsorglicher.
Am späteren Morgen war ich bereit, meinen Tag zu beginnen. Da Samstag war, gab es keinen festen Terminplan, aber man erwartete die Anwesenheit der Erwählten im Damensalon. Samstags empfing man Gäste im Palast, und man hatte uns mitgeteilt, dass wir für Gespräche zur Verfügung stehen sollten. Ich war nicht sonderlich erpicht darauf, freute mich aber, dass ich zum ersten Mal meine neuen Jeans tragen konnte. Die natürlich so gut saßen wie keine andere Hose, die ich jemals besessen hatte. Da Maxon und ich uns so gut verstanden, hoffte ich, sie bei meiner Abreise behalten zu dürfen.
Ich schlenderte langsam nach unten, immer noch etwas angeschlagen von der Nacht. Als ich mich dem Damensalon näherte, hörte ich drinnen die Mädchen schwatzen. Marlee stürzte auf mich zu, sobald ich den Raum betrat und zog mich zu zwei Stühlen ganz hinten.
»Da bist du ja endlich! Ich hab schon auf dich gewartet«, sagte sie.
»Tut mir leid, Marlee. Ich bin spät ins Bett gegangen und hab lang geschlafen.«
Offenbar spürte sie noch einen Anflug meiner Traurigkeit, denn sie warf mir zuerst einen prüfenden Blick zu, war dann aber so feinfühlig, meine Jeans zu betrachten. »Die sehen ja super aus.«
»Ich weiß. Die tollste Hose, die ich je anhatte«, sagte ich, bereits ein bisschen munterer. Ich beschloss, ab jetzt meine alte Regel wieder einzuhalten: Aspen war hier nicht erlaubt. Ich verdrängte jeden Gedanken an ihn und konzentrierte mich auf meine zweitliebste Person im Palast. »Tut mir leid, dass du warten musstest. Worüber wolltest du denn mit mir sprechen?«
Marlee zögerte und biss sich auf die Lippe, als wir uns setzten. Etwas schien ihr auf der Seele zu liegen.
»Ich überlege gerade, ob ich es dir wirklich erzählen soll«, sagte sie. »Ich vergesse manchmal, dass wir eigentlich Konkurrentinnen sind.«
Oh. Ein Maxon-Geheimnis. Darüber sollte ich im Bilde sein.
»Ich weiß genau, was du meinst, Marlee. Aber wir könnten so gute Freundinnen werden, glaube ich, dass ich dich einfach nicht als Gegnerin betrachten möchte, verstehst du?«
»Ja«, antwortete sie. »Du bist echt nett. Und das Volk liebt dich. Ich meine, du wirst wahrscheinlich Prinzessin?…« Sie klang ein wenig wehmütig.
Ich musste mich zwingen, nicht zusammenzuzucken und zu lachen.
»Kann ich dir ein Geheimnis anvertrauen, Marlee?«, fragte ich sanft. Ich hoffte, dass sie mir glauben würde.
»Sicher, America. Alles.«
»Ich weiß nicht, wer diesen Wettbewerb gewinnen wird. Es könnte wirklich jede von uns sein. Wahrscheinlich glaubt jede, dass sie es schaffen wird. Aber ich weiß jedenfalls eines ganz sicher: Wenn ich es nicht sein kann, möchte ich, dass du es wirst. Du bist großzügig und gerecht. Ich glaube, dass du eine wunderbare Prinzessin wärst. Ganz ehrlich.« Fast alles, was ich gesagt hatte, entsprach der Wahrheit.
»Und ich finde dich sehr klug und sympathisch«, flüsterte Marlee. »Du wärst auch eine gute Prinzessin.«
Ich schaute zu Boden. Es war nett von ihr, das zu sagen, aber mir war immer ein wenig unbehaglich zumute, wenn die Leute so über mich sprachen. Obwohl offenbar nicht nur meine Mutter, May und Mary so dachten, fand ich es schwer zu glauben, dass man mich geeignet für diese Rolle hielt. Ich war nicht vornehm. Ich konnte nicht gut organisieren oder Entscheidungen treffen. Ich war selbstsüchtig und launisch und war nicht gern in der Öffentlichkeit. Und ich war nicht mutig. Doch um die Rolle der Prinzessin an Maxons Seite einzunehmen, musste man mutig sein. Denn es ging ja nicht nur ums Heiraten, sondern um eine hohe gesellschaftliche Stellung.
»Aber das denke ich auch über die anderen Mädchen«, gestand mir Marlee. »Dass jede von ihnen irgendeine Eigenschaft hat, die ich nicht besitze, und dass sie deshalb auch passender wäre als ich.«
»Das ist genau der
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