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fragte nach. Tinys hohe Stimme klang besonders schrill.
»Oh nein, Anna«, seufzte Emmica.
Anna schien langsam bewusst zu werden, was sie da gerade getan hatte. Man würde sie nach Hause schicken – schließlich war es strengstens untersagt, andere Erwählte körperlich zu attackieren. Emmica begann zu weinen, während Anna ins Leere starrte. Beide Mädchen kamen von Bauernhöfen und hatten sich von Anfang an zusammengetan. Ich mochte mir nicht vorstellen, wie mir zumute sein würde, wenn Marlee plötzlich verschwinden würde.
Anna, die ich nicht näher kennengelernt hatte, war mir immer wie ein lebensfroher Mensch erschienen, der normalerweise keiner Fliege etwas zuleide tun würde. Während des Rebellenangriffs hatte sie die meiste Zeit auf dem Boden gekniet und gebetet.
Sie war zweifellos provoziert worden, aber niemand war den beiden nahe genug gewesen, um das Gespräch mitzuhören. Somit würde Annas Wort gegen das von Celeste stehen. Und alle konnten bezeugen, dass Celeste geschlagen worden war.
Als Anna klar wurde, dass ihre Zeit hier nun zu Ende war, stiegen ihr Tränen in die Augen. Celeste flüsterte ihr etwas zu und ging rasch hinaus.
Beim Abendessen war Anna schon verschwunden.
17
Wer war der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika während des Dritten Weltkriegs?«, fragte Silvia.
Ich wusste die Antwort nicht und blickte nach unten, in der Hoffnung, dass Silvia mich nicht aufrufen würde. Zum Glück meldete sich Amy. »Präsident Wallis.«
Wir hatten im Großen Saal Geschichtsunterricht. Oder eher so etwas wie einen Geschichtstest. Bei diesen Gelegenheiten zeigte sich, wie unterschiedlich der Wissensstand jeder einzelnen Bewerberin war. Mom hatte uns in Geschichte nur mündlich unterrichtet, und ich fühlte mich immer ein bisschen unsicher in diesem Bereich.
»Richtig. Vor dem Angriff der Chinesen war Wallis Präsident, und er führte die Vereinigten Staaten durch den Krieg«, bestätigte Silvia. Wallis, Wallis, Wallis, wiederholte ich stumm. Ich wollte mir das alles unbedingt merken, um es May und Gerad beizubringen, aber so viel Stoff im Kopf zu behalten, war nicht einfach. »Was war das Motiv der Chinesen für die Invasion? Celeste?«
Sie lächelte. »Geld. Die Amerikaner schuldeten den Chinesen viel Geld und konnten es nicht zurückzahlen.«
»Sehr gut, Celeste.« Silvia warf ihr ein anerkennendes Lächeln zu. Wie gelang es Celeste nur ständig, die Leute so um den Finger zu wickeln? Das regte mich immer wieder auf. »Als die Vereinigten Staaten die hohen Schulden nicht ausgleichen konnten, marschierten die Chinesen ein. Was ihnen leider gar kein Geld einbrachte, denn das Land war komplett bankrott. Doch sie bekamen auf diesem Wege amerikanische Arbeitskräfte. Und wie wurde der Staat nach der Übernahme durch die Chinesen genannt?«
Ich meldete mich mit einigen anderen.
»Jenna?«, sagte Silvia.
»Die Amerikanischen Staaten von China.«
»Genau. Die Amerikanischen Staaten von China sahen nach außen hin aus wie früher, doch das war nur Fassade. Die Chinesen steuerten sämtliche wichtigen politischen Entscheidungen und beeinflussten die Gesetzgebung in ihrem Sinne.« Silvia schritt langsam zwischen den Bänken hindurch. Ich kam mir vor wie eine Maus im Blick des Habichts.
Als ich mich umschaute, sah ich, dass einige andere auch verwirrt wirkten. Dabei hatte ich angenommen, dass diese Fakten allgemein bekannt waren.
»Möchte jemand noch etwas dazu sagen?«, fragte Silvia in die Runde.
Bariel meldete sich zu Wort. »Die chinesische Invasion führte dazu, dass sich andere Länder, vor allem in Europa, zusammenschlossen und Allianzen bildeten.«
»Richtig«, sagte Silvia. »Die Amerikanischen Staaten von China dagegen hatten damals keinerlei Verbündete. Es dauerte fünf Jahre, bis sie sich neu strukturiert hatten, und auch das gelang ihnen nur mit Mühe. Es waren keine Ressourcen mehr frei, um Allianzen zu bilden.« Ihre angestrengte Miene unterstrich ihre Worte. »Die ASC hatten geplant, sich gegen China zur Wehr zu setzen, doch dann erfolgte eine weitere Invasion. Welches Land war der nächste Aggressor?«
Diesmal ging eine Menge Hände in die Höhe. »Russland«, rief jemand, ohne aufgerufen zu werden. Silvia blickte sich suchend um, konnte die Störerin aber nicht ausfindig machen.
»Richtig«, sagte sie etwas unfroh. »Russland versuchte in beide Richtungen zu expandieren, scheiterte jedoch kläglich. Und dieses Scheitern ermöglichte es den ASC, zum Gegenschlag
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