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Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Welt hätte sie eine präzise Beschreibung des Vergewaltigers liefern können. In ihrem Kopf oder irgendwo sonst gab es ein vollständig klares Bild. Aber sie konnte es nicht hervorholen.
    Der Zeichner war ein geduldiger Mann. Er zeichnete und radierte, warf neue Striche auf das Blatt und schlug ein anderes Kinn vor. Die Frau schüttelte den Kopf, betrachtete das Bild aus zusammengekniffenen Augen und wollte die Ohren ein wenig verkürzen. Nichts half. Das Bild wies überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem Mann auf.
    Sie waren seit drei Stunden am Werk. Der Zeichner hatte viermal das Blatt wechseln müssen. Er hatte schon fast resigniert. Die Zeichnungen lagen vor ihr, keine war fertig.
    »Welche ähnelt ihm am meisten?«
    »Keine …«
    Es war wirklich an der Zeit, die Sache aufzugeben.
    Hanne Wilhelmsen und Håkon Sand waren nicht die einzigen, denen Vergewaltigungsfälle nicht gefielen. Hauptkommissar Kaldbakken, Hanne Wilhelmsens direkter Vorgesetzter, hatte sie ebenfalls restlos satt. Sein Pferdegesicht sah aus, als stehe es vor einem Sack voll verdorbenem Hafer und würde am liebsten dankend ablehnen.
    »Der sechste in weniger als zwei Wochen«, murmelte er. »Aber der hier sieht ein bißchen anders aus. Die fünf anderen waren selbstverschuldet. Aber dieser hier …«
    Selbstverschuldete Vergewaltigungen … dieser Ausdruck provozierte sie aufs schärfste. Solche Fälle gab es oft; Frauen, die nach einem feuchten Abend in der Stadt bei einem Mann noch ein letztes Glas hatten trinken wollen. Diese Fälle waren in der Regel nicht lösbar. Aussage gegen Aussage. Und dennoch konnte wohl kaum von eigener Schuld die Rede sein.
    Sie beschloß aber, nicht zu widersprechen. Nicht, weil sie sich vor ihrem Chef fürchtete, sondern weil sie ganz einfach keinen Bock hatte.
    »Die Geschädigte kann uns bei der Zeichnung nicht helfen«, sagte sie statt dessen. »Und im Archiv ist der Bursche auch nicht zu finden. Ganz schön schwierig.«
    Das stimmte. Nicht so sehr, weil sie den Fall nicht würden lösen können. In der Hinsicht landete er in guter Gesellschaft. Aber die Vorgehensweise des Täters bot Grund zur Besorgnis.
    »Solche Leute hören erst auf, wenn wir sie haben.«
    Kaldbakken starrte ins Leere. Sie schwiegen beide, und beide ahnten in dem schönen Maitag, der hinter den ungeputzten Fenstern lockte, eine böse Vorwarnung. Der magere Mann tippte mit einem verkrümmten Finger auf den Ordner.
    »Der kann uns einen ziemlich heißen Frühling bescheren«, sagte er aufrichtig besorgt. »Ich werde vorschlagen, die anderen fünf Fälle einzustellen. Wir geben diesem hier die Priorität, absolute Priorität, Wilhelmsen. Ja, das machen wir. Absolute Priorität …«
    Es war so warm im Raum, daß selbst das dünne, abgetragene Sweatshirt mit dem Emblem der Washington Redskins auf der Brust zuviel war. Sie zog es über den Kopf. Das Unterhemd war feucht zwischen ihren Brüsten, und sie zupfte ein wenig daran herum, was aber nicht weiter half. Das Fenster stand sperrangelweit offen, die Tür dagegen mußte geschlossen bleiben. Durchzug wäre nicht gut für den Hauch von Ordnung gewesen, den sie auf ihrem Schreibtisch zustande gebracht hatte.
    Viel konnte sie nicht tun. Am Tatort waren zwar ein paar Funde gemacht worden, zwei Haare, die vom Täter stammen konnten, Blutspuren, die vermutlich nicht von ihm stammten, Spermareste, bei denen das einwandfrei der Fall war. Aber ohne gute Zeichnung war bei den Massenmedien wenig zu holen, selbst wenn sie den Versuch machen sollten. Und das Fotoarchiv hatte auch nichts ergeben.
    Die Analyse des spärlichen Materials würde einige Zeit dauern. Inzwischen konnte sie eigentlich nur bei den Nachbarn nachfragen, ob die etwas gehört oder gesehen hätten.
    Das hatten sie vermutlich kaum. Das taten sie nie.
    Sie tippte vier Ziffern in die Sprechanlage.
    »Erik?«
    »Ja?«
    »Hier ist Hanne. Hast du Zeit für einen kleinen Ausflug?«
    Erik hatte Zeit. Er war Hanne Wilhelmsens Hundebaby, ein Polizist im ersten Dienstjahr mit roten Haaren und so vielen Sommersprossen, daß eine einzige mehr ihn zum Indianer gemacht hätte. Dreißig Sekunden später stand er schwanzwedelnd in der Tür.
    »Soll ich einen Wagen besorgen?«
    Sie erhob sich, lächelte breit und warf ihm einen schwarzen Fahrradhelm zu. Er fing ihn mit noch breiterem Lächeln auf.
    »Geil!«
    Hanne Wilhelmsen schüttelte den Kopf.
    »Ach, Erik, was du so alles geil findest!«
    Das Haus stammte wohl aus der Zeit der Jahrhundertwende. Es

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