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Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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dann wird dich natürlich niemand zwingen. Vielleicht überlegst du es dir ja auch anders. Wir warten erst mal ab. Aber brauchst du jetzt vielleicht irgendeine Art von Hilfe? Irgendeine andere?«
    Die große zarte Frau musterte ihre Anwältin einige lange Sekunden lang. Dann konnte sie nicht mehr. Sie beugte sich über den Tisch und legte den Kopf auf die Arme. Ihre Haare fielen nach vorn und verbargen ihr Gesicht. Sie weinte tränenlos eine halbe Stunde, während die Anwältin einfach nur ihren Rücken streichelte und ihr beruhigende Worte zuflüsterte.
    »Wenn mir doch bloß irgendwer helfen könnte«, schluchzte die junge Frau. »Und wenn irgendwer meinem Vater helfen könnte!«
    Schließlich stand sie auf.
    »Eigentlich will ich überhaupt nichts mit der Polizei zu tun haben. Im Grunde ist es mir egal, ob sie ihn erwischen. Ich will bloß …« Wieder mußte sie weinen, konnte nun aber aufrecht stehen bleiben. »Ich will einfach nur Hilfe. Und jemand muß meinem Vater helfen. Er spricht nicht mit mir. Er ist immer bei mir, will alles für mich tun, aber er … er sagt nichts. Ich habe solche Angst, er könnte …«
    Wieder wurde sie von ihrem Kummer überwältigt. Nach einer weiteren Viertelstunde wußte Linda Løvstad, daß sie zum erstenmal in ihrer kurzen Karriere als Anwältin für eine Mandantin einen Krankenwagen holen mußte.
    Sie versprachen sich nicht viel von der Zeichnung, hatten sie aber doch an die Zeitungen weitergereicht. Etwas hatte das immerhin gebracht, es waren ihnen schon über fünfzig Namen genannt worden. Vielleicht kam das gerade daher, daß es der Zeichnung dermaßen an Charakter fehlte, an den vagen Zügen, dem unklaren Gesicht; es war ein identitätsloses Schattenbild. Hanne Wilhelmsen hielt die Zeitung auf Armeslänge von sich weg und schüttelte den Kopf.
    »Das könnte doch jeder sein«, sagte sie. »Mit etwas gutem Willen kenne ich vier oder fünf Männer, die so ähnlich aussehen.« Sie kniff die Augen zusammen und legte den Kopf schräg. »Das hat Ähnlichkeit mit dir, Håkon! Das hat doch tatsächlich Ähnlichkeit mit dir!«
    Sie lachte und ließ sich die Zeitung aus den Händen reißen.
    »Hat es überhaupt nicht!« protestierte er beleidigt. »Mein Gesicht ist nicht so rund. Und meine Augen stehen auch nicht so eng beieinander. Und ich habe mehr Haare.«
    Die Zeitung wurde brutal zusammengeknüllt und in den Papierkorb geworfen.
    »Wenn du diese Ermittlungen so betreibst, dann verstehe ich, warum niemand mit einer Aufklärung rechnet«, erklärte er, immer noch ziemlich sauer. »Also echt …«
    Sie ließ nicht locker. Sie fischte die mißhandelte Zeitung aus dem Papierkorb und glättete sie mit einer langfingrigen, schmalen Hand, daß der Nagellack glänzte.
    »Sieh dir doch diese Zeichnung an. Könnte das nicht jeder x-beliebige sein? Solche Zeichnungen dürften überhaupt nicht veröffentlicht werden. Entweder hat sich das Opfer irgendein Merkmal besonders eingeprägt, dann kriegt der Mann eine zu große Nase, und wir kriegen keine Tips. Oder er sieht so aus. Beliebig. Wie irgendein Norweger.«
    Lange starrten sie das Bild des anonymen Norwegers mit dem nichtssagenden Gesicht an.
    »Wissen wir eigentlich, daß er Norweger ist?«
    »Wir wissen nur, daß er fließend Norwegisch spricht und norwegisch aussieht. Also können wir annehmen, daß er Norweger ist.«
    »Aber er war doch ziemlich braun …«
    »Jetzt hör aber auf, Håkon. Wir haben wirklich schon genug Rassisten, da brauchst du dir nicht auch noch einzureden, ein blonder Mann mit Osloer Akzent könnte Marokkaner sein.«
    »Aber die vergewaltigen doch wie die …«
    »Hör sofort mit dem Scheiß auf, Håkon!«
    Ihre Stimme hatte einen fast aggressiven Ton angenommen. Zwar waren Nordafrikaner in den Vergewaltigungsstatistiken überrepräsentiert. Zwar waren die ihnen vorgeworfenen Vergewaltigungen oft ungewöhnlich brutal. Zwar machten sich ab und zu ihre eigenen Vorurteile ungewöhnlich heftig bemerkbar – als Resultat von zu vielen Begegnungen mit gutaussehenden wollhaarigen Arschlöchern, die ihr frech ins Gesicht logen, obwohl sie im wahrsten Sinne des Wortes mit heruntergelassener Hose erwischt worden waren und jeder Norweger in derselben Situation gesagt hätte: Doch, wir haben gefickt, aber sie wollte das auch. Zwar wußte sie das alles, aber es laut zu sagen war trotzdem etwas ganz anderes.
    »Was glaubst du, wie hoch die Dunkelziffer bei ›norwegischen‹ Vergewaltigungen liegt?« Sie winkte mit zwei

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