Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
wahrscheinlich ein fahr in einer gemütlichen Zelle mit Fernseher und Freizeitangebot bekommen. Das hatte er nicht verdient!
Er hatte den Tod verdient. Sie aber hatte das, was er ihr angetan hatte, nicht verdient. Er war ein Dieb und ein Mörder. Und ihr Vater verdiente es nicht, so leiden zu müssen wie jetzt. Sie fand zu einer Art ruhiger, stiller Zufriedenheit, weil ein Entschluß gefaßt worden war. Doch dann erstarrte sie. Das war doch der pure Wahnwitz. Man brachte keine Leute um. Und wenn doch, dann war das in diesem Fall ja wohl ihre Aufgabe.
Billy T. war schon seit einer kleinen Ewigkeit nicht mehr Ermittler. Er gehörte seit über fünf Jahren zum Unruhekommando der Rauschgiftabteilung. So lange schon, daß er wahrscheinlich noch als Punk in Jeans herumlaufen würde, wenn er längst zu alt dafür war. Aber noch immer kursierten Gerüchte über seine Fähigkeiten beim Verhör. Er hielt sich nicht immer an die Regeln, konnte aber eine Liste von Geständnissen aufweisen, die noch die besten Kollegen beeindruckte.
Hanne Wilhelmsen hatte darauf bestanden. Er hatte sich überreden lassen. Sie fragte sich, ob sie sich wohl selbst einen Vorwand lieferte, um ihn wiederzusehen. Die vergangene Nacht kam ihr vollkommen unwirklich vor, jetzt, da sie sich wieder in der vertrauten Umgebung mit all ihren gewohnten Verteidigungsbollwerken befand. Und doch empfand sie ein intensives Bedürfnis danach, ihn zu sehen, mit ihm zu reden. Über Alltagskram, über Polizeiangelegenheiten. Sie wollte sich einfach davon überzeugen, daß er noch immer der gute alte war.
Und das war er. Scherzend und lärmend steuerte er ihr Büro an, sie konnte ihn schon aus der Feme hören. Als sie erwartungsvoll den Kopf aus der Tür streckte und er sie sah, ließ er sich lauthals und mit flirtendem Unterton über das aus, was vor wenigen Stunden passiert war. Er sah auch nicht sonderlich müde aus. Alles war wie immer. Fast jedenfalls.
Der Anblick von Cato Iversen versetzte Hanne Wilhelmsen einen Stich. Er hatte zwar keine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit der Zeichnung, aber er entsprach perfekt Kristine Håverstads Beschreibung. Breite Schultern, blonde Haare, tiefe Geheimratsecken. Er war nicht besonders groß, aber sein muskulöser Körper machte einen ziemlich massigen Eindruck. Sonnengebräunt war er auch, aber das waren jetzt fast alle. Mit Ausnahme der Angestellten der Osloer Polizei.
Billy T. allein füllte fast schon den ganzen Raum aus. Und da auch Cato Iversen und Hanne Wilhelmsen zugegen waren, wurde es wirklich eng. Billy T. stellte sich mit dem Rücken zum Fenster und lehnte den Hintern gegen die Fensterbank. Vor dem grellen Tageslicht wurde er zu einer riesigen schwarzen Figur mit scharfen Umrissen und ohne Gesicht. Hanne Wilhelmsen setzte sich hinter ihren Schreibtisch.
Cato Iversen war sichtlich nervös. Das war noch immer kein Wunder und brauchte nichts zu bedeuten. Er schluckte hektisch, rutschte auf seinem Stuhl hin und her und legte die seltsame Unsitte an den Tag, sich dauernd mit der rechten Hand am linken Handrücken zu kratzen.
»Wie Sie vielleicht wissen«, fing sie an, »benutzen wir beim Verhör von Zeugen kein Tonbandgerät.«
Das wußte er nicht.
»Aber jetzt machen wir das«, sagte sie, lächelte kühl und drückte gleichzeitig zwei Knöpfe an einem kleinen Tonbandgerät, das auf dem Tisch stand. Danach rückte sie das Mikrophon zurecht, so daß es vage ins Zimmer hinein zeigte.
»Wir fangen mit den Personalien an«, sagte sie.
Die erfuhr sie. Zum Ausgleich teilte sie ihm mit, daß er keine Aussage machen müsse; falls er aber doch etwas sage, müsse das die Wahrheit sein.
»Habe ich Anspruch auf einen Anwalt?«
Kaum hatte er das gesagt, bereute er es auch schon und versuchte es mit einem bleichen Lächeln, einem abwehrenden Kopfschütteln und einem Räuspern. Dann kratzte er fieberhaft einen Mückenstich an seiner linken Hand.
»Anwalt, Billy T.«, sagte Hanne zu dem Ungeheuer auf der Fensterbank. »Anwalt? Braucht unser junger Freund einen Anwalt?«
Billy T. schwieg und lächelte. Das konnte Iversen nicht sehen. Für ihn war der Mann noch immer ein schwarzer Umriß vor blauem Himmel.
»Nein, nein, brauche ich nicht. War bloß eine Frage.«
»Sie sind Zeuge, Iversen«, versicherte Hanne Wilhelmsen, scheinbar sehr darum bemüht, den Mann zu beruhigen. »Da brauchen Sie doch wohl keinen Anwalt?«
»Aber worum geht es hier eigentlich?!«
»Das kommt schon noch, das kommt schon noch.«
Ein
Weitere Kostenlose Bücher