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Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Fensterscheibe an. Kristine wußte, daß sie sie nicht sehen konnten.
    Er war nicht dabei. Alle hatten ein wenig Ähnlichkeit mit ihm. Aber keiner war der, der über sie hergefallen war. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Wenn er doch bloß dort gestanden hätte! Dann hätte sie sich um ihren Vater keine Sorgen mehr zu machen brauchen. Sie hätte versuchen können, ihr Leben wieder zusammenzuflicken. Sie hätte der Polizei nicht zu sagen brauchen, daß ihr Vater einen Mord plante. Das Leben wäre so unbeschreiblich anders gewesen, wenn er unter diesen Männern gewesen wäre. Aber das war er nicht.
    »Vielleicht Nummer zwei!« platzte es aus ihr heraus.
    Was machte sie denn bloß? Nummer zwei war es ja nun wirklich nicht gewesen. Aber wenn sie sie auf einen von diesen Männern ansetzte, gewann sie immerhin ein wenig Zeit. Ein wenig Zeit zum Nachdenken, Zeit, um ihren Vater zu bearbeiten. Einige Tage vielleicht nur, aber auch das war besser als nichts.
    »Oder Nummer drei?«
    Sie blickte Hanne Wilhelmsen fragend an, aber die saß wie eine Sphinx da und starrte vor sich hin.
    »Doch«, entschied sie, »Nummer zwei oder drei. Aber ich bin alles andere als sicher.«
    Kommissarin Wilhelmsen bedankte sich für die Hilfe, brachte sie eilig zur Tür und war so enttäuscht, daß sie vergaß, Kristine Håverstad zu fragen, warum sie eigentlich gekommen sei. Aber das war auch egal. Kristine Håverstad streifte sich die Tasche über die schmale Schulter und verließ das Polizeigebäude in der Gewißheit, daß sie ihren Vater niemals verraten würde.
    Nummer zwei bei der Gegenüberstellung war Fredrik Andersen vom Vorladungsbüro gewesen, Nummer drei Eirik Langbråtan, ein sympathischer Kollege von der Kripo. Cato Iversen, der als Nummer sechs in der Reihe gestanden hatte, wurde mit einem Händedruck und nicht sehr tief empfundenem Bedauern entlassen.
    Als er glücklich außer Sichtweite all derer war, die vielleicht aus dem riesigen Haus hinter ihm herstarrten, ging er ins Lompa und bestellte zwei Halbe auf einmal. Er setzte sich ganz hinten im Lokal an einen Tisch und zündete sich mit zitternden Händen eine Zigarette an.
    In der Nacht zum 30.   Mai hatte er sich mit einer Lkw-Ladung geschmuggelten Schnapses auf der Fähre von Dänemark nach Norwegen befunden. Das sollte nie, nie wieder vorkommen.
    Fast ein ganzer Arbeitstag war auf dieser Blindspur verlorengegangen. Es war zum Verzweifeln. Aber das sollte an diesem Tag durchaus noch nicht die wichtigste Angelegenheit für die A 2.11 gewesen sein.
    Hauptkommissar Hans Olav Kaldbakken kam zur täglichen Besprechung in Hanne Wilhelmsens Büro. Er sah überhaupt nicht gut aus. Er nahm mit steifen, schwerfälligen Bewegungen im Sessel Platz und steckte sich eine Zigarette an. Es war die zwanzigste an diesem Tag, und es war noch nicht einmal halb vier.
    »Kommen wir irgendwie weiter, Wilhelmsen?« fragte er heiser. »Haben wir mehr als diesen … diesen Cato Iversen? Denn der war es doch wohl nicht?«
    »Nein, sieht nicht so aus«, antwortete Hanne Wilhelmsen und massierte sich die Schläfen.
    Das war absolut untertrieben. Cato Iversen mochte jede Menge Dreck am Stecken haben, aber den würden sie ein andermal abkratzen müssen. Hanne wußte nur zu gut, daß Kristine Håverstad den Mann erkannt hätte, der sie überfallen hatte. Ihr war nicht ganz klar, warum die junge Frau zwei Männer genannt hatte, die ihr zweifellos nichts getan hatten.
    Vielleicht verspürte sie unterschwellig den Wunsch, der Polizei weiterzuhelfen. Aber es war doch auffällig. Sie würde ein andermal darüber nachdenken müssen.
    »Der Samstag rückt näher«, sagte Kaldbakken düster. »Ein gräßlicher Samstag rückt näher.«
    Er sprach mit einem komischen Akzent. Und er verschluckte die Wörter, ehe er sie ganz ausgesprochen hatte. Aber Hanne Wilhelmsen hatte schon seit vielen Jahren denselben Chef und wußte immer, was er meinte.
    »So ist es, Kaldbakken. Der Samstag rückt näher.«
    »Weißt du«, sagte er und beugte sich in einem ungewöhnlichen Anfall von Vertraulichkeit zu ihr vor. »Ich finde nichts so schrecklich wie Vergewaltigungen. Ich werde mit Vergewaltigungen einfach nicht fertig. Und dabei bin ich schon seit dreißig Jahren bei der Polizei.«
    Er versank in Grübelei, riß sich aber bald wieder zusammen.
    »Seit vierunddreißig Jahren, um ganz genau zu sein. Ich habe 1960 angefangen. Was mich natürlich nicht zum alten Mann macht.« Er lächelte mürrisch und hustete

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