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Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Pflichtschuldig fragte ich nach dem Befinden seiner gesamten Verwandtschaft und ließ grüßen.
    Als ich mich verabschieden wollte, zog Jonas einen Umschlag aus der Hosentasche. »Reichen tausend Mark?« fragte er.
    Ich nickte gerührt, denn diese Summe bedeutete viel für ihn.
    Hätte er gesehen, wie zügig ich sein Geld innerhalb einer Stunde für Kleider ausgab, wäre er wahrscheinlich weniger großzügig gewesen. Ich mochte nur teure Boutiquen, das war nun einmal so. Trotzdem verfiel ich auf der Heimfahrt in eine nachdenkliche Stimmung; allmählich wurde es höchste Zeit, daß ich eigenes Geld verdiente, und zwar nicht bloß ein paar Pfennige. Ich wollte Cora beweis en, daß ich auch ohne ihre Almosen zurechtkam. Doch auch mein Kaufrausch tröstete mich nicht über ihre Treulosigkeit hinweg.
    Als ich am späten Abend in die WG zurückkam, war weder Andy noch Kathrin zu Hause, nur der Hund begrüßte mich überschwenglich. Plötzlich vermißte ich meinen kleinen Sohn. Auf meinem Bett lag das seidene Nachthemd mit geraffter Taille ausgebreitet, wie es in mediterranen Ferienhotels Brauch ist. Ich lächelte. Heute nacht würde Andy irgendwann sein Glück aufs neue versuchen. Ob er am Ende glaubte, ich hätte Bela nur deswegen zu seinem Vater gebracht, um das Doppelbett anderweitig belegen zu können?
    Ich ließ die Zimmertür einen Spaltbreit offen.
    Fast die ganze Nacht lag ich auf der Lauer, aber Andy war im Dienst, vielleicht auch zu müde oder wollte mich ein wenig zappeln lassen. Dabei war noch nicht einmal klar, ob ich ihm einen Platz neben mir einräumen würde. Als ich endlich im Tiefschlaf lag, wurde ich durch eine federleichte Berührung meiner Füße geweckt. Ich dehnte mich wohlig und begriff erst nach einigen Sekunden, daß sich kein menschliches Wesen am unteren Bettrand eingenistet hatte. Aber ich war zu müde, um den Hund zu verscheuchen, und muß im nachhinein auch zugeben, daß er sich diskret verhielt.
    Beim Frühstück traf ich Kathrin. Trotz meiner Unausgeschlafenheit fragte ich, ob ich mit ihr nach Frankfurt fahren könnte. Sie hatte nichts gegen einen kleinen gemeinsamen Bummel. Dann ging sie in die Volkshochschule, ich besichtigte das Goethehaus und machte anschließend Rast in einem brechend vollen Cafe. Ich suchte mir einen freien Platz inmitten einer Gruppe junger Leute und wurde anfangs nicht weiter beachtet. Studenten, stellte ich fest. Wieder einmal wurmte es mich, daß ich zwar altersmäßig zu ihnen gehörte, aber niemals eine Universität betreten oder eine qualifizierte Ausbildung angestrebt hatte. Meine ehemalige Anstellung als Fremdenführerin konnte man kaum als Beruf bezeichnen.
    Fast alle Hochschüler, die hier saßen, waren auf Nebenjobs angewiesen: Sie arbeiteten als Taxifahrer wie Andy, gaben Nachhilfeunterricht, starteten telefonische Meinungsumfragen oder halfen als Kellnerinnen aus. Wie in meiner Schulzeit fühlte ich mich wieder als Außenseiterin.
    Eine Romanistin am Nachbartisch erzählte ihrem Gegenüber gerade, daß sie Kochrezepte für einen italienischen Fabrikanten übersetze, der tiefgekühlte Lebensrnittel produziere.
    Woher solle man bloß wissen, was Bagno maria auf deutsch heiße?
    »Wasserbad«, sagte ich, und plötzlich sahen mich alle, die mich vorher gar nicht wahrgenommen hatten, überrascht an.
    »Weißt du etwa auch, was der Unterschied von cotto und bollito ist?« fragte sie mich und zückte den Bleistift.
    »Beides heißt gekocht«, sagte ich stolz, »aber bollito bedeutet in Flüssigkeit gegart.«
    Von da an beteiligte ich mich am allgemeinen Gespräch; man fragte zwar nicht, wie ich heiße und woher ich komme, aber durch meine Italienischkenntnisse ließ man mich als Sprachstudentin gelten. Sogleich beklagte sich nun jeder über die eigene fragmentarische Bildung und über die fehlende Zeit, um sich mit dem Guten, Wahren und Schönen zu beschäftigen.
    Schließlich hatte sich das Cafe geleert, und ich saß nur noch mit einer Ethnologin im 22. Semester beim fünften Espresso. Sie sei in allerbester Laune, sagte sie verklärt, denn in einer Woche gehe es nach Pakistan. »Feldforschung! Ein halbes Jahr lang werde ich im Ausland verbringen. Ich habe heute mit dem Packen begonnen und hatte auch schon einen Nachmieter gefunden, der in dieser Zeit meine Wohnung bezahlt. Leider wird das jetzt mein größtes Problem, denn der Typ ist gerade wieder abgesprungen.«
    Sofort wurde ich hellhörig. »Ich kenne eine Lehrerin, die in Darmstadt wohnt und in Frankfurt

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