Selina - Liebesnaechte in Florenz
auch nicht mehr getan hätte. Sie war nun schon lange genug in Florenz, um die doppelte Moral der Einwohner zu durchschauen und dahinter zu kommen, dass, wie zurückgezogen und moralisch einwandfrei die Frauen auch lebten, sie doch immer wieder Mittel und Wege zu Liebesabenteuer fanden, die in aller Heimlichkeit manchmal sogar Jahre überdauerten.
Sie fühlte eine leichte Röte in ihre Wangen steigen, die weniger von falscher Schamhaftigkeit kam als von der Freude, etwas angeboten zu bekommen, dass sie mehr wollte als alles andere. Sie hatte in den letzten drei Wochen, seit dem Kuss im Garten, schon mehr als einmal mit dem Gedanken gespielt, ihn einfach darauf anzusprechen, hatte sich jedoch dann doch gescheut, den ersten Schritt zu tun. „Psalmen rezitieren?“ fragte sie mit einem leichten Lächeln.
Alessandro lachte. Sie standen hinter einigen Bäumen, wo man sie nicht beobachten konnte, und er zog sie an sich. „Ja, meine verführerische Mondgöttin. Ich will mit dir Psalmen rezitieren. Und Gott alleine weiß, wie sehr mir dieser Wunsch nach gemeinsamer Frömmigkeit schon zu schaffen macht.“ Er schob ihr langes Haar zur Seite und küsste sie auf den Nacken. „Ich begehre dich so sehr, meine Selene, dass ich dich tagsüber in jeder Frau sehe und des Nachts nicht schlafen kann, weil ich mich nach dir sehne.“
„Es gehört sich nicht“, sagte sie, um ihm nicht zu zeigen, dass sie ebenso empfand und nichts sehnlicher wünschte als ihm zu gehören, in seinen Armen zu liegen und mit ihm gemeinsam vor Lust zu vergehen.
„Aber mein süßes Leben, wer könnte uns Vorwürfe machen? Predigen denn die Mönche nicht immer das Gebet? Und welches könnte inniger gesprochen werden als das von zwei Liebenden? Aber“, seine Lippen zogen eine glühende Spur von ihrem Hals abwärts bis zum Stoff ihres Kleides, „wenn du nicht Psalmen rezitieren willst, dann können wir gemeinsam den Teufel zur Hölle schicken.“
„Den Teufel zur Hölle schicken?“ kicherte Selina, was Alessandro veranlasste, ihren Mund zu küssen, bis er schmerzte.
„Was ist das?“ fragte sie atemlos, als er sie wieder freigab. „Was...“
Er lachte, „Ich werde es dir zeigen, meine Geliebte und glaube mir, es wird dir gefallen. Ich jedenfalls“, fügte er ernst hinzu, „wünsche mir nichts sehnlicher.“ Er strich ihr zart über die Wange, „Kommst du, süße Hoffnung meines Herzens?“
Selina sah in seine Augen, las darin Zuneigung und Verlangen und nickte nur stumm.
„Morgen?“ fragte er weiter.
„Morgen schon?!“
„Lass mich nicht länger warten, unbarmherziges Geschöpf.“
„Morgen“, hauchte sie.
Im Landhaus
S elina hatte das Haus verlassen und war in einer der engen Straßen in eine Sänfte gestiegen, die von Alessandros verlässlichem Diener Luciano begleitet wurde. Sie hatte einen weiten Mantel umgelegt, den sie über den Kopf zog, sodass er halb das Gesicht verdeckte und sie zusammen mit den Vorhängen der Sänfte vor fremden Augen schützte. Ihr selbst war es gleichgültig wenn man sie sah, aber Alessandro hatte darauf bestanden, und sein Diener achtete darauf, dass niemand sie erkennen konnte.
Sie selbst saß erregt in ihrem schönsten Kleid in der schaukelnden Sänfte, warf unter dem Schutz des Mantels neugierige Blicke auf die Landschaft, hin und her gerissen zwischen Vorfreude auf das Zusammensein und Furcht vor dem, was sie tat. Sie wollte es, sehnte sich nach Alessandro wie noch nie nach einem Mann und das mit einer Heftigkeit und Ungeduld, die ihre Hände beben ließen. Und doch war da ein kleines, unangenehmes Gefühl der Angst in ihrem Herzen. Nicht davor, ihren guten Ruf zu verlieren, der Alessandro mehr zu bedeuten schien als ihr selbst, sondern einem Mann wie ihm, der unter den schönsten und begehrenswertesten Frauen des Landes wählen konnte, nicht zu genügen.
Bedenken wie diese hatte sie beim Zusammensein mit Louis niemals gehabt. Was wohl daher rühren mochte, dass sie zwar in ihren schönen Stiefvater verliebt gewesen war, sein Begehren und seine Liebkosungen gerne genossen hatte, ihre Gefühle für ihn jedoch in keinem Verhältnis standen zu dem, was sie für Alessandro di Barenza empfand.
Alessandro hatte sich sehr um sie bemüht, ihr über Wochen hinweg mit einer Geduld den Hof gemacht, die ihr schmeicheln musste, und die für eine gewisse Tiefe seiner Zuneigung sprach, aber dennoch konnte sie nicht sicher sein, ob sie nicht nur ein kurzes, unwichtiges Abenteuer für ihn war. Sie wusste
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