Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Semenon und die kleine Landkneipe

Semenon und die kleine Landkneipe

Titel: Semenon und die kleine Landkneipe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
jeden Betrag ausspuckt, um mir das Maul zu stopfen?«
      Dabei sah Victor so überlegen aus – wie einer, der gewöhnt ist ans Katzbuckeln und sich auf einmal stark fühlt. Sein ganzes Leben lang war er bei der Polizei angeeckt. Und plötzlich war die Polizei auf ihn angewiesen. In dieser Rolle gefiel er sich so sehr, daß er seine Worte mit vielsagenden Blicken begleitete.
      »Wollen Sie mir sagen, was mich dazu bringen könnte, einen Kameraden zu verpfeifen, der mir nichts getan hat? Sie wollen mich wegen Landstreicherei einlochen. Schön! Sie vergessen dabei meine Lunge. Man bringt mich in die Krankenstation und von dort in ein Sanatorium …«
      Maigret sah ihn an, ohne ein Wort zu erwidern.
      »Was würden Sie zu dreißig Mille meinen? Das ist nicht viel … andererseits genug, um mir das Leben, das sowieso bald zu Ende ist, zu erleichtern … Und für die Staatskasse ist es eine Bagatelle!«
      Er hatte sie schon in der Tasche. Er war überschwänglich. Ein Hustenanfall unterbrach ihn und trieb ihm die Tränen in die Augen. Dann fuhr er in gesteigertem Selbstbewußtsein fort:
      »Mein letztes Wort: dreißig Mille, und ich sage alles! Sie kriegen Ihren Mann, werden befördert, kommen in die Zeitung. Ohne mich nichts von all dem. Sie finden ihn nie … Die Sache liegt sechs Jahre zurück, es gab nur zwei Zeugen, und den einen habt ihr stumm gemacht!«
      »Weiter nichts?« fragte Maigret, der stehengeblieben war.
      »Sie finden es zu teuer?«
      Victors Sicherheit wurde schwächer. Die unerschütterliche Ruhe Maigrets brachte ihn schnell auf die Erde zurück.
      »Sie denken wohl, Sie könnten mich einschüchtern?« Er versuchte zu lachen, aber der Versuch mißlang.
      »Ich kenne das hier genau … ich weiß, Sie können mich mißhandeln lassen, um mir die Zunge zu lösen … aber was glauben Sie, was ich dann erzähle? In den Zeitungen wird man lesen, ein armer Teufel, der nur noch eine halbe Lunge hat, und so weiter. He?«
      »Ist das alles?«
      »Sie dürfen auch nicht glauben, Sie kämen weiter ohne mich. Ausgeschlossen. Ich meine also, dreißig Mille.«
      »Sonst nichts?«
      »Rechnen Sie ja nicht damit, daß ich Dummheiten begehen werde. Angenommen, Sie lassen mich laufen, glauben Sie vielleicht, ich setzte mich mit dem Kunden in Verbindung, schriftlich oder mündlich?«
      Die Stimme klang anders. Victor wurde unsicher und hatte Mühe, die Fassung zu bewahren.
      »Vor allem verlange ich einen Anwalt. Sie haben nicht das Recht, mich länger als vierundzwanzig Stunden einzusperren.«
      Maigret ließ einen Rauchring aus dem Mund aufsteigen, versenkte die Hände in die Taschen, ging hinaus und sagte zu dem Beamten:
      »Schließen Sie ihn ein!«
      Er war wütend und bemühte sich auch gar nicht mehr, es zu verbergen. Er war wütend, weil dieser Dummkopf, der ihm ausgeliefert war, alles wußte und sich das Ge heimnis nicht entreißen ließ oder doch nur unter unerfüllbaren Bedingungen.
      Weil er eben ein Dummkopf war, der sich noch dazu überschätzte und auf Erpressung aus war, Erpressung mit Hilfe einer kranken Lunge!
      Der Kommissar war ein paarmal nahe daran gewesen, ihm eine Ohrfeige zu geben, um ihn zur Vernunft zu bringen. Aber er hatte sich beherrscht.
      Seine Lage war ungünstig. Das Gesetz gab ihm keine Gewalt über den Landstreicher.
      Zugegeben, er war ein entgleistes Subjekt, ein Dieb und Erpresser. Da ihm aber nichts nachgewiesen werden konnte, abgesehen von Landstreicherei, konnte man ihn nicht unter Anklage stellen.
      Und das mit der Lunge stimmte! Überall würde er Mitleid erregen. Man würde die Polizei beschimpfen. Und in den Blättern würde man spaltenlange Artikel veröffentlichen unter der Überschrift:

    Polizei peinigt einen Sterbenden.

    Deshalb also verlangte er seelenruhig diesen Preis und hatte recht, wenn er einkalkulierte, daß man ihn laufenlassen mußte!
      »Öffnen Sie nachts die Zellentür und sagen Sie Lucas, er soll ihn beschatten und nicht aus den Augen verlieren.«
      Maigret biß auf das Mundstück seiner Pfeife. Ein Wort von diesem Schurken, und die Sache nahm ihren Lauf.
      So aber war er gezwungen, aus verstreutem und oft widersprüchlichem Beweismaterial Hypothesen aufzubauen.
      »›Taverne Royale‹!« rief er dem Chauffeur des herbeigerufenen Autos zu.

    James war nicht da. Er kam auch nicht. Vom Portier der Bank erfuhr Maigret, daß er sie bei Geschäftsschluß verlassen

Weitere Kostenlose Bücher