Semenon und die kleine Landkneipe
nichts zu sagen?«
»Nichts von Bedeutung. Versetzen Sie sich doch in meine Lage« – worauf Maigret ihm schroff den Rücken wandte.
Montag regnete es. Maigret sah es mit Entzücken, denn das graue Wetter paßte zu seiner Stimmung und entsprach den Aufgaben, die vor ihm lagen.
Vor allem war der Bericht über die Ereignisse des
Abends fällig, der den vom Kommissar befohlenen Polizeieinsatz zu rechtfertigen hatte.
Um elf holten ihn zwei ausgewählte Experten des technischen Ermittlungsdienstes in seinem Büro ab und fuhren mit ihm zur Autorennbahn, wo Maigret ihren Untersuchungen untätig zusehen mußte.
Man wußte, daß der Doktor nicht mehr als sechzig Kilometer mit dem fabrikneuen Wagen gefahren war. Jetzt aber zeigte der Zähler auf zweihundertzehn. James hatte wahrscheinlich fünfzig Kilometer auf der Rennstrecke gefahren.
Blieben hundert Kilometer Straßenfahrt. Von Morsang nach Montlhéry waren es, auf direktem Wege, höchstens vierzig.
Jetzt mußte man auf einer Straßenkarte den Aktionsradius des Autos abstecken.
Die Sachverständigen leisteten gründliche Arbeit. Jeder Reifen wurde studiert, Staub und Erdreste wurden unter die Lupe genommen und für eine genauere Analyse sorgsam gesammelt.
Man fand frische Teerspuren und stellte auf einer vom Straßenbauamt zur Verfügung gestellten Karte fest, wo im in Frage kommenden Umkreis Straßenarbeiten im Gange waren.
Es gab vier oder fünf Möglichkeiten. Der eine Sachverständige meldete:
»Kalkhaltige Erdreste!«
Die Generalstabskarte wurde zu Hilfe genommen. Maigret fühlte sich überflüssig und lief mit griesgrämiger Miene rauchend auf und ab.
»Keine Kalkerde in Richtung Fontainebleau; wohl aber zwischen La Ferté-Alais und Arpajon …«
»Hier sind Getreidekörner in den Reifenrillen.«
Die Beobachtungen häuften sich. Ebenso die Blau- und Rotstiftstriche in den Karten.
Um vierzehn Uhr telefonierte man mit dem Bürgermeister von La Ferté-Alais, um ihn zu fragen, ob ein Unternehmen der Stadt eine bestimmte Sorte Portland-Zement verwende. Die Antwort kam erst eine Stunde später:
»Bei den Wassermühlen der Essone wird gebaut, wofür sie Portland-Zement brauchen, der über die Straße La Ferté-Arpajon herangeschafft wird.«
Das war ein Punkt, von dem man ausgehen konnte. Der Wagen war also diese Strecke gefahren. Anderes Beweismaterial nahmen die Sachverständigen ins Laboratorium mit, um es genauer zu untersuchen.
Maigret gab an Hand des Straßenplans den Gendarmerieposten und Stadtbehörden im Aktionsradius weitere Instruktionen.
Um vier Uhr verließ er sein Büro. Er wollte den Landstreicher, der sich in der Polizeipräfektur in Haft befand, vernehmen. Auf der Treppe kam ihm eine Idee. Er ging in sein Büro zurück und ließ sich mit dem Buchhalter der Firma Basso verbinden.
»Hallo! Hier Kriminalpolizei. Wollen Sie mir bitte Ihre Bankverbindungen nennen? Die Nordbank am Boulevard Haussmann? Vielen Dank.«
Er begab sich zur Bank und ließ sich beim Direktor melden. Und fünf Minuten später kannte er eine weitere Tatsache, die für die Untersuchung bedeutungsvoll wer den konnte. Vormittags, gegen zehn Uhr, hatte James einen Scheck über dreihunderttausend Franc eingelöst, der von Marcel Basso unterschrieben war.
Der Scheck war vor vier Tagen ausgestellt.
»Herr Kommissar, der Mann, der sich unten in Haft befindet, wünscht dringend, mit Ihnen zu sprechen. Es scheint, daß er Ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen hat.«
Maigret ging schwerfällig die Treppe hinab und betrat die Zelle, in der Victor saß.
»Nun?«
Victor stand geschwind auf, vertrat sich die Beine, machte ein verschmitztes Gesicht und sagte:
»Sie haben nichts herausgefunden, nicht wahr?«
»Was hast du mir zu sagen?«
»Sie haben also nichts herausgefunden … das merkt ein Blinder mit dem Krückstock … na, und ich habe mir die Sache überlegt …«
»Bist du bereit, zu reden?«
»Sachte! Erst müssen wir uns einigen … Ich weiß nicht, ob es wahr ist, daß Lenoir gesungen hat. Wenn ja, dann hat er Ihnen jedenfalls nicht alles gesagt. Ohne mich finden Sie nichts! Tatsache! Sie tappen herum und verrennen sich immer mehr. Ein Geheimnis wie dieses ist seinen Preis wert, sage ich … einen ordentlichen Preis. Nehmen Sie mal an, ich ginge zu dem Mörder und erzählte ihm, ich wolle ihn der Polente verpfeifen … Glauben Sie nicht, daß er
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