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Semenon und die kleine Landkneipe

Semenon und die kleine Landkneipe

Titel: Semenon und die kleine Landkneipe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Toter, eine gehetzte Familie, der ganze Apparat der sogenannten Gerechtigkeit, der in Bewegung gesetzt wird, die Zeitungen greifen den Stoff auf …«
      Er sprach ohne Leidenschaft, ließ die Worte scheinbar mit Widerwillen über die Lippen, und sein Blick irrte umher.
      »Trumpf!« rief siegessicher der Wirt in seiner Ecke.
      »Und Feinstein, der sein Leben damit verbrachte, hinter dem Geld herzulaufen, um seine Verpflichtungen zu erfüllen … Etwas anderes als den Ärger mit Wechseln und Schuldscheinen hat er nicht gekannt. Ein endloser Alptraum, weshalb er sich aufdringlich an die Liebhaber seiner Frau wandte … Tot, ja, weit ist er damit gekommen …«
      »Was aber den Mord wohl nicht entschuldigt«, wandte Maigret nachdenklich ein.
      »Wer kann sagen, wer diesen Schuß abgegeben hat? Ich sehe die Sache vor mir … Feinstein, der dringend Geld braucht, lauert auf den richtigen Augenblick und denkt an nichts anderes, selbst in seinen Frauenkleidern während des Maskenscherzes denkt er an nichts anderes. Er sieht Basso mit Mado tanzen … verstehen Sie? Und am nächsten Morgen beginnt er dann mit seinen Pumpversuchen. Basso, der wohl schon hinreichend geschröpft ist, lehnt ab. Der andere wird dringlicher, schildert jammernd sein Elend, die Schande … lieber tot sein … Ich könnte darauf schwören, daß die Szene so verlaufen ist. An einem sonnigen Vormittag, an dem ringsumher nur Heiterkeit in der Luft lag.
      Na, und vermutlich hat Feinstein dem anderen angedeutet, er wisse Bescheid, sei nicht so blind, wie es den Anschein habe.
      Beide waren sie hinter dem Schuppen, und Basso sah im Geiste seine Villa, drüben, am anderen Ufer, seine Frau, den Jungen … wollte dem anderen den Mund stopfen, sich nicht mehr schröpfen lassen. Die Nerven hatten sie beide verloren.
      Mehr war es nicht! Ein Knall von einem kleinen Revolver …«
      Endlich richtete James den Blick auf seinen Begleiter.
      »Und wenn man alles richtig bedenkt, ist doch die Sache überhaupt nicht wert, daß man so viel Theater darum macht.«
      Dabei lachte er verächtlich.
      »Und um dieser Sache willen laufen Scharen von Menschen durcheinander wie aufgescheuchte Ameisen, wird eine Familie umhergehetzt, stellt sich Mado an wie eine Irrsinnige, weil sie ihren Liebhaber nicht verlieren will. Wirt!«
      Der Gerufene legte brummig seine Karten nieder.
      »Was bin ich schuldig?«
      »Wie dem auch sei«, sagte Maigret, »so bleibt doch die Tatsache bestehen, daß Basso jetzt über dreihunderttausend Franc verfügt …«
      James zuckte nur mit den Achseln. Plötzlich aber fuhr er fort:
      »Ich erinnere mich übrigens, wie die Sache angefangen hat. Es war an einem Sonntag, und man tanzte auf dem Rasen. Basso tanzte mit Madame Feinstein … beide stolperten und fielen hin … eng umschlungen … alle lachten, selbst Feinstein …«
      James steckte das Wechselgeld ein, zögerte einen Moment und bestellte ein neues Glas. Es war das sechste.
      Und doch war er nicht betrunken, aber er hatte wohl einen schweren Kopf, denn er griff sich an die Stirn.
      »Sie begeben sich nun wieder auf die Jagd?«
      Es sah aus, als bedauerte er Maigret.
      »Drei arme Teufel, ein Mann, eine Frau und ein Junge, sollen zur Strecke gebracht werden, weil der Mann ein Verhältnis mit Mado hatte.«
      War es seine Stimme, seine Haltung, die Atmosphäre, die in Maigret fast eine Zwangsvorstellung auslöste? Jedenfalls kostete es ihn die größte Überwindung, die Dinge wieder in einem anderen Licht zu sehen.
      »Prost! Ich muß gehen, sonst werde ich womöglich auch erschossen … Ach, ist das alles dumm, saudumm!«
      Mit einer müden Bewegung öffnete er die Tür, und
    draußen auf der wenig beleuchteten Straße sagte er, wobei er jede Silbe betonte:
      »Ein höchst seltsamer Beruf!«
      »Der meine?«
      »Überhaupt der, Mensch zu sein oder Mann, um es deutlicher zu sagen. Komme ich jetzt hinauf, so wird meine Frau mir das Geld nachzählen, um festzustellen, wieviel ich getrunken habe … Na, denn auf Wiedersehen … Morgen? ›Taverne Royale‹?«
      Maigret blieb allein mit bedrückenden Gedanken, die er nicht loswerden konnte. Ihm war, als wären alle seine Richtlinien, seine Wertvorstellungen zerfallen. Sogar die Straße hatte ein anderes Gesicht bekommen. Die Menschen sahen verändert aus, selbst die Straßenbahn glich einem leuchtenden Fabelwesen.
      Alles schien zu dem Ameisenhaufen zu gehören,

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