Semenon und die kleine Landkneipe
vernommen worden. Ohne Ergebnis.
Als nun an jenem Tag der Gendarm Piquart zur Frühstückszeit in seine Wohnung trat, bat ihn seine stillende Frau, einige Zwiebeln zu holen, die sie zu kaufen vergessen hatte.
Ein Kleinstadtladen am Markt. Vier, fünf Hausfrauen beim Einkauf. Der Gendarm, dem solche Besorgungen unangenehm waren, blieb teilnahmslos bei der Tür stehen. Die Kaufmannsfrau bediente gerade Mutter Mathilde und sagte lächelnd:
»Mir scheint, Ihnen geht es neuerdings recht ordentlich. Für zweiundzwanzig Franc Schinken! Und den essen Sie so mir nichts, dir nichts alleine auf?«
Ohne etwas dabei zu denken, betrachtete Piquart die Alte. Sie sah arm aus, und sie war es auch. Und während eine Schinkenscheibe nach der anderen unter dem Messer fiel, begann Piquarts Gehirn langsam zu arbeiten. Sie waren zu dritt, ohne den Säugling. Aber es würde ihnen nie im Leben einfallen, für zweiundzwanzig Franc Schinken zu kaufen.
Er folgte der Frau. Sie wohnte am Stadtrand in einem Häuschen mit einem kleinen Gemüsegarten. Er ließ sie ins Haus gehen, dann klopfte er und trat entschlossen ein.
Madame Basso hatte eine Schürze umgebunden und war am Küchenherd beschäftigt. In einer Ecke saß Basso auf einem Korbstuhl, las die Zeitung, und der Junge saß auf dem Fußboden und spielte mit einem kleinen Hund.
Man hatte Maigrets Wohnung am Boulevard RichardLenoir angerufen und ihn dann überall gesucht. Aber man hatte nicht daran gedacht, daß man ihn in Bassos Haus am Quai d’Austerlitz treffen würde.
Aber gerade dorthin hatte er sich begeben, nachdem er sich von James getrennt hatte. Er war in guter Laune und scherzte mit den Angestellten, die weiterarbeiteten, da man ihnen nichts anderes gesagt hatte. Auf den Lagerplätzen türmten sich die Kohlenberge, die die Kähne täglich heranschafften.
Die Büroräume waren weder modern noch altmodisch. Es genügte, sie zu sehen, um zu wissen, welcher Geist hier herrschte.
Es gab kein Chefbüro. Basso hatte seinen Platz in einer Fensterecke, dem Buchhalter gegenüber, und seine Sekretärin saß am Nebentisch.
Und es gab weder eine Rangordnung, noch waren Unterhaltungen verboten. Die Angestellten konnten bei der Arbeit ihre Zigarette oder ihre Pfeife rauchen.
»Ein Adressenverzeichnis?« hatte der Buchhalter auf die Frage des Kommissars erwidert. »Natürlich haben wir eins, aber es enthält nur die Adressen unserer Kunden. Wollen Sie es sehen?«
Maigret interessierte sich für den Buchstaben U, aber den Namen Ulrich fand er nicht. Er hatte es auch nicht erwartet.
»Sind Sie sicher, daß Monsieur Basso nicht ein mehr privates Verzeichnis geführt hat? Halt! Wer war hier, als der Sohn geboren wurde?«
»Ich«, erwiderte die Sekretärin und wurde sogleich verlegen. Sie war fünfunddreißig Jahre alt und wäre gern zehn Jahre jünger gewesen.
»Monsieur Basso hat doch damals gewiß Anzeigen versandt?«
»Er hatte mich damit beauftragt.«
»Dann hat er Ihnen wohl eine Liste seiner Freunde und Bekannten gegeben?«
»Ja, das stimmt. Ich habe sie in seinen persönlichen Ordner gelegt.«
»Und wo befindet sich dieser Ordner?«
Sie zögerte und sah ihre Kollegen fragend an. Der Buchhalter reagierte mit einer Geste, die ausdrücken sollte:
»Da gibt es wohl keinen Ausweg.«
»In der Wohnung«, sagte sie schließlich. »Darf ich Sie bitten, mir zu folgen?«
Sie gingen über den Kohlenplatz. Im Erdgeschoß des einfach ausgestatteten Hauses befand sich ein Büro, das gänzlich unbenutzt zu sein schien. Man nannte es die Bibliothek.
Es war die Bibliothek von Menschen, für die das Lesen eine zweitrangige Zerstreuung ist. Eine Familienbibliothek, in der sich die seltsamsten Dinge angesammelt hatten.
Da standen zum Beispiel Bücher aus Bassos Schulzeit, ferner eine Reihe von Bänden eines fünfzig Jahre alten Familienblatts, Jungmädchenbücher, die Madame Basso wohl in die Ehe mitgebracht hatte, anspruchsvolle Literatur, gekauft im Vertrauen auf die Verläßlichkeit der Zeitungsbesprechungen, und schließlich neuere illustrierte Bücher, die dem Jungen gehörten, sowie ein paar Spielsachen.
Die Sekretärin öffnete den Schreibtisch, und Maigret fragte, wobei er auf ein verschlossenes gelbes Kuvert wies:
»Was ist darin?«
»Die Briefe, die Monsieur Basso an seine damalige Braut geschrieben hat.«
»Und die Liste mit den Namen?«
Die Sekretärin fand
Weitere Kostenlose Bücher