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Semenon und die kleine Landkneipe

Semenon und die kleine Landkneipe

Titel: Semenon und die kleine Landkneipe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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dreihunderttausend Franc, die ich bei mir habe, und mit meiner ungebrochenen Energie könnte ich mir eine neue Existenz aufbauen, in Italien oder in Ägypten.
      Aber wird man mir glauben? Glauben Sie mir?«
      »Ich glaube, daß Sie Feinstein getötet haben, ohne es zu wollen«, erwiderte Maigret langsam, wobei er jede Silbe betonte.
      »Aber ich möchte vor allem wissen, ob Feinstein nicht einen besseren Trumpf in der Hand hatte als die Untreue seiner Frau. Kurz …«
      Er unterbrach sich und nahm das kleine Adressenverzeichnis aus der Tasche, das er beim Buchstaben U öffnete.
      »Kurz, ich wüßte sehr gern, wer vor sechs Jahren einen gewissen Trödler Ulrich ermordet und den Leichnam in den Kanal Saint-Martin geworfen hat. Ulrichs Laden befand sich in der Rue des Blancs-Manteaux, falls Sie es nicht wissen sollten …«
      Es kostete ihn Überwindung, seinen Satz zu beenden, so unerwartet war die Verwandlung, die mit Basso vorging. Er wurde blaß und war nahe daran, das Gleichgewicht zu verlieren. Er suchte einen Halt, griff auf den heißen Küchenherd, riß die Hand zurück und schrie:
      »Verdammt!«
      Mit aufgerissenen Augen starrte er Maigret an, wich vor ihm zurück, stieß an seinen Stuhl und fiel kraftlos darauf nieder. Mechanisch wiederholte er:
      »Verdammt!«
      Die Tür wurde aufgerissen. Madame Basso stürzte auf ihren Mann zu und rief in höchster Erregung:
      »Es kann nicht wahr sein. Sag doch, daß es nicht wahr ist, Marcel!«
      Er sah sie verständnislos an, und plötzlich nahm er mit einem Stöhnen den Kopf in beide Hände und brach in Schluchzen aus.
      »Papa … mein lieber Papa«, jammerte nun auch der Junge, der sich an seinen Vater klammerte.
      Basso wies ihn ab, hörte seinen Sohn nicht. Er schien nicht zu verstehen, was um ihn herum geschah. Völlig verstört,war er nicht imstande, seine Tränen zurückzuhalten. Gebeugt saß er auf seinem Stuhl. Ein Krampf schüttelte seine Schultern.
      Während der Junge wie der Vater schluchzte, biß sich Madame Basso auf die Lippe und warf Maigret einen haßerfüllten Blick zu.
      Und die alte Mathilde, die nicht einzutreten wagte, aber durch die offene Türe dem Ende der Szene beigewohnt hatte, weinte in der stillen, regelmäßigen Art alter Leute und fuhr sich dabei mit einem Zipfel der karierten Schürze über die Augen.
      Schließlich trippelte sie schniefend zum Herd und setzte die Suppe wieder aufs Feuer, das sie mit einem Haken schürte.

    10

    Maigret spricht in der Zelle

    Z um Glück dauern solche Szenen nicht lange, denn
         der Widerstandskraft der Nerven sind Grenzen gesetzt. Hat die Erregung den höchsten Grad erreicht, geht sie unvermittelt in Ruhe über, in eine Ruhe allerdings, die an Stumpfsinn grenzt wie die vorangegangene Erregung an Irrsinn.
      Man scheint sich seiner Unbeherrschtheit, seiner Tränen, der hervorgestammelten Worte zu schämen, als lägen pathetische Gesten nicht in der wahren menschlichen Natur.
      Maigret wartete. Ihm war nicht wohl zumute. Er sah auf das bläuliche Licht vor dem kleinen Fenster, in dem die Uniformmütze eines Polizisten zu erkennen war. Aber er wußte zugleich, was hinter seinem Rücken geschah, ahnte, daß Madame Basso ihren Mann bei den Schultern faßte und ihn beschwor:
      »Sag doch, daß es nicht wahr ist!«
      Basso stand auf, schob seine Frau zur Seite und sah sich um mit den wirren Augen eines Trunkenen. Die Tür zum Küchenherd war offen. Die Alte füllte Kohlen auf. Ein roter Lichtschein erhellte die niedrige Decke, deren Gebälk sich zu bewegen schien.
      Der Junge blickte auf den Vater, und da dieser nicht mehr weinte, hörte auch er zu weinen auf.
      »Es ist schon vorüber … Entschuldigung«, sagte Basso mit ganz leiser Stimme. Kein Zweifel, daß der Kummer ihn völlig überwältigt hatte. Er war ein müder, kraftloser Mann.
      »Sie gestehen also?«
      »Ich gestehe nichts. Hören Sie …«
      Dabei sah er mit gerunzelten Brauen und schmerzlich verzogenem Mund auf Frau und Sohn.
      »Ich habe Ulrich nicht ermordet. Die Schwäche kam nur, weil ich mir bewußt bin, daß … daß ich …«
      Er war so erschöpft, daß er keine Worte fand.
      »Daß Sie sich nicht rechtfertigen können?«
      Er nickte und wiederholte nur:
      »Ich habe ihn nicht ermordet …«
      »Das gleiche sagten Sie unmittelbar nach Feinsteins Tod. Und doch haben Sie eben eingestanden …«
      »Das ist etwas

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