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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Alkohol, die Dämonen zu vertreiben. Er ging früh schlafen.
    Am nächsten Morgen erwachte er schon um sieben mit schwerem Kopf. Die Zunge mit Pelz überzogen, so fühlte sie sich an, hinter den Schläfen pochte es, noch war es auszuhalten, aber bei der ersten falschen Bewegung würde sich das dumpfe Klopfen in ein Schädelweh von Weltkriegsniveau verwandeln. Er ging in die Küche, setzte die Schritte wie ein alter Mann, Grappa vertrug er nicht, machte immer wieder denselben Fehler. Kaffee half zuverlässig, Kaffee und Honig. Aber keine unbedachten Bewegungen. Nach der ersten Tasse war es etwas besser, er holte die Zeitung.
    Schon bei der Schlagzeile wurde ihm schlecht. Sie enthielt die bekannten Schriftzüge. SILIV. Er setzte sich, schluckte schwer, überflog den Artikel. Alles war jetzt am Tage, alles auf einmal. Neues Mittel gegen Schlaganfall. Hoffnungsträger. Gerüchte über Nebenwirkungen. Finanzielle Schieflage. Die ganze Litanei des Wirtschaftsjournalismus. Aber dann: Harlander. Rettung. Übernahme. Beim Stichwort »Übernahme« rannte er schon aufs Klo und kotzte, bis nur nochgallegrüne Tropfen kamen. Schuld war der Grappa. Aber nicht nur. Er kniete zusammengesunken vor der Muschel, die er umarmt hielt, und spürte, wie der Brechreiz nachließ. Sein Magen war gutmütig, immer gewesen. Das war das Positive. Sonst war nichts positiv.
    Er wusste, was er nun tun würde. Den Computer hochfahren, die Kurse abfragen. Er wusste aber jetzt schon, was er dort sehen würde. Es half nichts, er konnte sich das nicht ersparen.
    Als er die Charts sah, packte ihn das Elend. Er hatte Recht behalten. Die SILIV-Aktie zitterte nach Handelsbeginn ein bisschen herum, weil immer ein paar Daytrader, die nicht nachdenken können, sofort handeln und das Falsche tun; aber nach kurzer Zeit setzte sich der wirtschaftliche Sachverstand durch. Harlander bot zweiundneunzig, das lag kaum über dem Vortagskurs, da waren die Gerüchte um PZ 405 aber schon eingepreist. Jedenfalls lag der Kurs nicht darunter. Der Markt wusste von der Vorgangsweise des »weißen Ritters«. Der war gut eingeführt, hatte das schon ein paar Mal vorexerziert. Das Unternehmen kaufen und sanieren. Zum Beispiel diese Röhrenbude, die bizarrerweise »Eisenmenger« hieß, Eisenmenger und irgendwas; die hatten massive Probleme mit einem zugekauften Werk in Rumänien gehabt, Harlander hatte gekauft, das Management achtkantig rausgeschmissen, ein Drittel der Belegschaft hinterher, die Kosten runtergedrückt und den Laden saniert. Die rumänische Fabrik war deren PZ 405 gewesen, Harlander ließ sich von so etwas nicht schrecken. Denn es waren niemals Umstände, die Probleme machten, sondern Personen . Die nicht das taten, was sie sollten. Harlander änderte das. Semmler kannte ihn. Das sei sein ganzes Geheimnis,hatte er Semmler bei einem Empfang gesagt, Menschen dazu zu bringen, zu tun, was sie sollten. Partygewäsch. Semmler glaubte jedes Wort. Alle anderen taten das auch. Hätte Harlander nach der Kollision mit dem Eisberg das Kommando über die »Titanic« übernommen, wäre niemand zu Schaden gekommen. So ein Mann war das.
    Vielleicht würde er SILIV auch zerschlagen und die Einzelteile weiterverkaufen. Die Käufer standen schon Schlange. Alles Großkonzerne mit eigenen Betablockern. Vielleicht nicht so gut wie Methranon, aber was soll’s? Marktbereinigung. Für die dreitausend Leute bei SILIV sah es nicht gut aus, aber ohne Harlander hätte es noch schlechter ausgesehen; jetzt ging sich vielleicht sogar ein Sozialplan aus. Einen Sozialplan brauch ich nicht, dachte Semmler, so was gibt’s auch nicht für dumme Investoren und Geldverbrenner. Denn was immer Harlander vorhatte und tun würde oder nicht tun würde – PZ 405 war völlig neutralisiert. Es hätte so giftig sein können wie Plutonium – Harlander hatte das alles wohl erwogen, in seine Entscheidung einbezogen und wollte SILIV trotzdem kaufen. Eine Art religiöser Akt. PZ 405 unter der jetzigen Führung war eine himmelschreiende Sünde, des Todes würdig. PZ 405 unter Harlander war keine Sünde, nicht einmal ein Vergehen, ein Flüchtigkeitsfehler, wegzuwischen mit lässiger Geste.
    Ihr Put mit fünfundachtzig war um Hausecken »out of money«. Das spiegelte auch der Kurs: der Put auf zwei Euro gefallen, sie würden also, wenn sie ihn gleich verkauften, mindestens sechzigtausend verlieren. Aber mit dem ganzen Verschleierungsapparat und den hohen Kosten, die der mit sich brachte, war die Option jetzt schon

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