Semmlers Deal
Alles Seiende hatte sein Opfer angenommen. Zwar: das mit Harlander war schon unschön. Die unerklärliche Abweichung vom Kurs, der Unfall am helllichten Tag, da war die Opferseite mit Koslowski läppisch. Wie nannte man das? Kollateralschäden.
Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt die Methode Mießgang vergessen. Jetzt funktionierte sie schon zum zweiten Mal. Das warf moralische Fragen auf, dafür war er empfindlich, auch wenn das niemand, so dachte er, bei ihm vermuten würde. Aber er gehörte eben nicht zu den Menschen, die ihre Moral wie eine Fahne vor sich hertragen. War er schuld an Harlanders Tod, an Koslowskis Verletzung? Das hätte er gern mit jemandem besprochen, doch er kannte keinen Menschen, mit dem das möglich gewesen wäre. Er war wie immer auf sich selbst angewiesen. Die Sache erforderte genaues Nachdenken, dazu war jetzt keine Zeit. Gott sei Dank wusste er, was jetzt, in dieser Stunde zu tun war. Er musste Koslowski im Spital besuchen. Anteilnahme zeigen. Die Sache erklären. Er konnte sich denken, wie das gelaufen war. Koslowski war ein Hohlkopf. Das würde er ihm auch sagen. Von Schulfreund zu Schulfreund. Aber an Koslowskis Dummheit war er nicht schuld.
3
Koslowski sagte nichts und starrte Semmler an wie eine Erscheinung. Semmler störte das nicht, starren konnte er auch. Er zog sich einen Stuhl ans Bett. Den Riesenblumenstrauß hatte er in eine Vase verpflanzt, am Fenster standen schon drei, seiner war der größte, wie er nicht ohne Befriedigung feststellte. Dass es in Koslowskis Krankenzimmer überhaupt Blumen gab, wunderte ihn, ein Strauß ging aufs Konto seiner Frau, schön und gut, aber die anderen? Koslowski schien mehr Anhang zu haben, als er ihm zugetraut hatte ...
»Was willst du hier?«, unterbrach Koslowski den Gedankengang.
Semmler antwortete nicht, er musterte den Kranken. Koslowski war blass, der weiße Kopfverband unterstrich die bleiche Gesichtsfarbe. Er sieht geschminkt aus, dachte Semmler, wie ein Statist in einem Kriegsfilm, Typus »schwerverwundet«. Übertrieben.
»Wie geht’s dir?«, fragte er.
»Du bist gekommen, um rauszukriegen, wie’s mir geht?«
»Auch.«
»Also gut. Beschissen geht’s mir. Siehst du ja. Und weswegen noch?«
»Weswegen noch was ... ?«
»... du hier bist. Du hast gesagt ›auch‹.«
»Um mich zu entschuldigen. Wegen des Tipps ...« Koslowski richtete sich halb auf, verzog das Gesicht. Das mussten die angebrochenen Rippen sein.
»Du tust – was? Du entschuldigst dich? Weil du mir auf den Fuß getreten bist? Ach, entschuldige, war keine Absicht! In diesem Sinn? – Du hast vielleicht Nerven!«
Er ließ sich zurückfallen, stöhnte auf. »Hau bloß ab! Und nimm deine Scheißblumen wieder mit!«
Semmler lächelte. »Ich entschuldige mich nicht für den Tipp. Sondern dafür, dass ich von meinen Grundsätzen abgewichen bin und dir überhaupt einen gegeben habe. Das hätte ich nicht tun sollen ...«
»... nein, das wäre besser gewesen. Dein Tipp hat mich ... ach, lassen wir das. Geh jetzt!«
»Nein, ich will diese Sache aufklären. Du scheinst zu glauben, ich hab dir absichtlich falsch geraten ...«
»Nein, ich scheine das nicht zu glauben, und ich glaub’s auch nicht – ich weiß es!«
»Einen Scheißdreck weißt du!« Semmler stand auf, beugte sich über Koslowski. »Bin ich Hellseher oder was? Woher soll ich wissen, dass dieser Harlander gegen einen Berg fliegt?«
»Welcher Harlander?«
Semmler starrte den Schulfreund mit offenem Mund an. »Ehrlich, du weißt das nicht?«
»Ich hab mich einfach auf dich verlassen ...« Er klang nicht mehr so wütend. Semmler hörte die Verunsicherung heraus, den ersten Riss im Panzer rechtschaffener Empörung. Es ist beschämend, dachte er, was ich hier mache. Viel zu einfach. Wie einem Vierjährigen das Eis wegzunehmen. Laut sagte er: »Harlander, du Christkind, war der Typ mit der Übernahme – ich hab dir doch von der Übernahme erzählt, hast du das vergessen?«
»Nein, nein, ich hab nur ...«
»Das – war – der – Tipp! Die Aktien hätten steigen sollen. Und sind ja auch gestiegen. Und dann setzt sich das Arschloch ins Flugzeug und stürzt im Ötztal ab! Und mit der Übernahme ...«
»... war’s aus, schon klar. Aber diese SILIV AG hatte doch Schwierigkeiten, davon hast du nichts gesagt ...«
»Koslowski, nun überleg doch! Nur zwei Sekunden! Wenn die keine Probleme gehabt hätten, wär die Aktie nicht so billig gewesen – dann hätte sie durch die Übernahme auch nicht weit steigen
Weitere Kostenlose Bücher